Breed: Roman (German Edition)
das nicht klappt, werden wir wohl das Handtuch werfen.«
»Das Handtuch der Ehe?«, fragt Cynthia.
»Niemals. Das Handtuch der Elternschaft.«
»Und er ist immer noch nicht bereit, über eine Adoption nachzudenken?«, fragt Cynthia. Sie gibt sich alle Mühe, den Blick unverwandt auf ihre jüngere Schwester zu richten, doch der Salon – nein, das gesamte Haus! – ist so voller Antiquitäten, die sich großteils schon seit Generationen im Besitz von Alex’ Familie befinden, dass es ihr schwerfällt, nicht alles mit ihrem taxierenden, bewundernden Blick zu betrachten. Direkt über dem klassizistischen Sessel mit der vielfarbigen floralen Nadelarbeit, auf dem Leslie sich lümmelt, hängt ein Spiegel mit einem zweihundertfünfzig Jahre alten vergoldeten Holzrahmen, gekrönt mit einem von zwei Schwanenhälsen flankierten Wappenschild, in dessen Mitte eine fein geschnitzte weibliche Maske zwischen Palmwedeln prangt. In San Francisco könnte man das Ding wahrscheinlich für zwanzigtausend Dollar verkaufen, vielleicht sogar für mehr. Ein leichter Schauder durchfährt Cynthia, als Leslie ihre Teetasse direkt auf das dreibeinige georgianische Mahagonitischchen neben ihrem Sessel stellt, ein karamellfarbenes Schmuckstück mit einer bezaubernd geschwungenen Platte und Beinen, die mit geschnitzten Blattornamenten verziert sind.
»Sieh dich doch um«, sagt Leslie und deutet mit einer ausholenden Bewegung auf die Wände, an denen überall Porträts der zahlreichen Vorfahren von Alex hängen, angefangen bei einem britischen Armeeoffizier mit glattem, rosigem Gesicht und einer blutroten Jacke über eine gewitzt aussehende ältere Frau in einem dunkelgelben Kleid mit zwei Hunden – Spitzen – auf dem Schoß und Stahl in den Augen, einen albernen Dandy mit einem königsblauen Dreispitz und einer glänzenden Seidenweste, der seinen Spazierstock grazil zwischen zwei Fingern hält, bis hin zu einigen Twisdens aus jüngerer Zeit, gekleidet in die Uniform ihrer Hobbys (Reithose, Yachtmütze, Malerkittel) oder ihrer Berufe (Maßanzug, Richtertalar, violettes Priesterhemd mit Umlegekragen). »Alex will sein Familienerbe fortsetzen.«
»Und was bist du?«, fragt Cynthia. »Eine Brutmaschine?« Da sie selbst kinderlos ist und mit einem Mann zusammenlebt, den fast jeder für schwul hält, hat sie nie viel von einem konventionellen Familienleben gehalten.
»Was ist, wenn ich ihn liebe und ihn glücklich machen will?«, erwidert Leslie.
»Und was ist eigentlich mit deinem Glück?«, fragt Cynthia. »Diese ganzen Prozeduren, dieses komplette Eindringen in dein Intimleben! Das ist bescheuert. Von deiner Karriere ganz zu schweigen!«
»Tja, wie schon gesagt, wir sind allmählich am Ende angelangt.«
»Und was zum Teufel ist das für eine neue Behandlung, für die ihr ins Ausland reisen müsst? Also, hör mal, Les. Ich wäre äußerst argwöhnisch. Genauer gesagt, würde ich mich zu Tode fürchten.«
»Wer sagt, dass ich das nicht tue?«, fragt Leslie.
Cynthias Aufmerksamkeit wird vorübergehend von zwei chinesischen Glasmalereien in Anspruch genommen, die über dem Kamin hängen. Auf einer kniet ein Mädchen auf einem Floß, das es mit einem Ruder durch aufgewühltes Wasser lenkt, und auf dem anderen sitzt eine Mutter unter einer Zypresse, neben ihr steht ein Kind, und auf einem Hügel im Hintergrund sieht man eine Pagode. »Sind die neu?«, fragt Cynthia.
»Nichts in diesem Haus ist neu«, sagt Leslie.
Die wichtigste Erneuerungsmaßnahme, die Alex und Leslie haben durchführen lassen, war eine Dreifachverglasung der Fenster, um das Brummen, Hupen, Dröhnen, Brüllen und Kreischen von New York auszusperren. Dennoch gelangt nun ein durchdringender Schrei mit der Geschwindigkeit, der Kraft und dem Schock eines flammenden Pfeils in den Raum. Er kommt von dem Gehweg ein Stockwerk tiefer. Leslie und Cynthia hasten zum Fenster und ziehen die schweren Samtvorhänge beiseite.
Direkt unter ihnen presst sich eine Nanny in weißer Uniform und blauem Mantel eine Hand an die Wange, während sie weiterschreit. Offenbar leidet sie entsetzliche Schmerzen, und einige Passanten stehen schreckensstarr da und gaffen die Frau an, die in kleinen Kreisen umhergeht, sich die Wange hält und ein qualvolles Heulen von sich gibt. Als sie die Hand wegnimmt, sieht man ihr rosafarbenes Fleisch durch das dunkle Braun ihrer Haut schimmern. Sie blickt auf ihre Handfläche, die rot von Blut ist, während weiteres Blut an ihrem Gesicht herabströmt, sich teilweise
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