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Breed: Roman (German Edition)

Breed: Roman (German Edition)

Titel: Breed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chase Novak
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Schmerztabletten, krampflösende Mittel, Abführmittel, verschiedene Neuroleptika und Schlafmittel, allesamt von Amélie heimlich eingesteckt und nach Hause gebracht zum Zwecke ihres nicht endenden Bemühens, Bernard wenigstens minimal schmerzfreier und funktionsfähiger zu machen.
    »Was hast du heute gemacht, Bernard? Park?«
    »Ja.«
    Er dreht sich um und zeigt sich ihr, als habe er alles schon durchdacht und wolle sie die volle Wirkung dessen erfahren lassen, was er sagen wird.
    »Sie rennen so schnell.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Und ich sitze.«
    »Aber du bist da.«
    Er schüttelt den Kopf, zuerst langsam und traurig und dann mit zunehmender Heftigkeit, bis es aussieht, als hätte er einen Krampfanfall.
    Für Amélie ist das unerträglich. Ihr Herz bricht, und ihre Augen schließen sich – wie kann sie sich gleichzeitig nur so traurig und so schläfrig fühlen? Unzählige Male hat sie vor ihrem geistigen Auge den Moment vorbeiziehen lassen, in dem sie das missgestaltete, dem Tode geweihte Neugeborene, das dieses Kind einmal war, genommen, in ein Laken gewickelt und adoptiert hat. Die wollten es umbringen! Die wollten es wegwerfen, als wäre es nie da gewesen! Als hätte es kein Herz, kein Gehirn, keine Gefühle, keine Seele.
    Bernard hebt die Hand, um sie seiner Mutter zu zeigen. »Hab’s noch einmal gesehen«, sagt er.
    Es hat eine Zeit gegeben, als sie seine Kommunikationsversuche leicht entschlüsseln konnte, aber das erfordert mehr Energie, als sie jetzt noch besitzt, und während ihre Kräfte ständig abnehmen, abgenutzt durch die Last der vergangenen Jahre, durch Erschöpfung, Isolation und Entmutigung, stellt sie fest, dass sie und der Junge sich voneinander entfernen, statt enger zusammenzuwachsen.
Hab’s noch einmal gesehen? Was denn? Noch eine Hand?
    Er sieht die Kombination aus Verwirrung und Gleichgültigkeit in ihrem Gesicht und hebt die Hand mit seinem Muttermal zur Erklärung ein Stück höher.
    »Bei einem Mädchen, so alt wie ich. Nett ist die.«
    »Wirklich?« Amélies Aufmerksamkeit ist geweckt. »Heute Nacht?«
    »Ja.« Das gute Auge des armen, verbogenen und verdrehten Jungen füllt sich mit Tränen, die er mit der Hand wegwischt – einen Moment lang ist der rote Schnörkel feucht.
    »War sie bei den anderen?«
    »Die haben sie mitgenommen.«
    »Mitgenommen?«
    »Sie.«
    »Aha.« Sie hört ein Gurgeln, während die Blase des Jungen sich entleert. Wie üblich scheint er das überhaupt nicht wahrzunehmen. Er hat diesen typischen Blick im Gesicht – eine Art angstvolles Starren, als hätte er etwas Gefährliches gesehen, dem er keinen Einhalt gebieten kann. Ohne Vorwarnung hustet er tief, und aus seinem winzigen Mund tritt bebend eine Speichelblase aus. Wenn er eine Comicfigur wäre, dann wäre das die Sprechblase, und darin stünde:
Wieso bin ich nur geboren worden?
    Diese Frage, einst undenkbar für Amélie und niemals ausgesprochen, verfolgt sie inzwischen. Dadurch hat dieses Kind ihren früher unerschütterlichen Glauben ausgehöhlt. Als sie es aus dem Krankenhaus geschmuggelt hat, während dieses närrische reiche Ehepaar damit beschäftigt war, seine Zwillinge anzuschmachten, anscheinend ohne sich im Klaren darüber zu sein, dass Drillinge geboren worden waren, da war es keine Frage für Amélie, dass sie das Richtige tat. Sie rettete ein Leben, so wie ein Feuerwehrmann jemanden aus einem brennenden Gebäude trägt oder wie ein Polizist, der einem Irren die Waffe aus der Hand nimmt. Hübsch oder flink würde der Säugling, den sie da rettete, nicht werden, doch Amélie kümmerte sich nicht um Schönheit oder die üblichen Wege zum Erfolg – die erfüllten sie sogar mit einer Art Verachtung, weil solche Wege gerade durch ihre Leichtigkeit etwas Hinterhältiges, moralisch Anrüchiges, Unfaires und Niederträchtiges an sich hatten. Mit einem hatte sie jedoch nicht gerechnet: Indem sie dieses Kind vor der Vernichtung gerettet hat, zu der der Arzt es allzu eilfertig verdammen wollte, hat sie es zu etwas verdammt, das womöglich noch schlimmer ist. Mit einem jähen Entsetzen, das die emotionale Entsprechung einer Eislawine darstellt, denkt sie nun:
Ich habe mehr Schaden als Nutzen bewirkt.
    Bernard versucht sich aufzusetzen. Als ihm das misslingt, maunzt er vor Frustration. Seine Hand krallt in die Luft, als wäre die Unsichtbarkeit von Sauerstoff ein Teil des Gefängnisses, in dem er eingekerkert ist.
    »Ich weiß, es ist traurig für dich, mein Liebling«, sagt

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