Breed: Roman (German Edition)
diesmal mit einer Reihe kurzer, heftiger Töne, die darauf hinzuweisen scheinen, dass die Person unten wütend ist.
»Vielleicht ist er das, Rosalie. Ich melde mich wieder.«
»Ich rufen Polizei«, sagt Rosalie, bevor sie auflegt.
Michael beschließt, Wut mit Wut zu beantworten, und als er die Sprechanlage betätigt, ist seine Stimme rau vor Ärger. »Was zum Teufel wollen Sie?«, fragt er mit zusammengebissenen Zähnen. »Oder bist du das, Xavier? Wo ist dein Schlüssel?«
»Hier spricht Alexander Twisden, Mr. Medoff. Mein Sohn ist in Ihrer Wohnung, und ich bin gekommen, um ihn nach Hause zu holen.«
Michael kann sich nicht sofort von der Vorstellung befreien, die Adam ihm vorgegaukelt hat – dass die Twisdens in Kanada sind und Adam und Alice allein gelassen haben. »Wer ist da?«, sagt er barsch in die Sprechanlage, allerdings nicht mehr ganz so aggressiv wie vorher.
»Soll ich lieber mit der Polizei wiederkommen?«, fragt die Stimme.
Statt zu antworten, drückt Michael auf den Türöffner. Rasch steigt er in seine Hose, zieht einen Baumwollpulli über sein Unterhemd und schlüpft in seine Schuhe, ohne sich um Socken zu kümmern. Die Vorstellung, in dieser kleinen Wohnung auch nur andeutungsweise unbekleidet mit einem seiner Schüler angetroffen zu werden – und dann ausgerechnet noch mit einem Jungen –, der im Nebenzimmer schläft, erfüllt Michael mit Panik. Er hat das Gefühl, im Dunkeln eine Treppe hinunterzusteigen und plötzlich festzustellen, dass eine Stufe fehlt.
Alex Twisden tritt aus dem kleinen Aufzug und blickt links und rechts den Flur entlang. Seine Nasenlöcher blähen sich verächtlich. Er sieht Michael vor der Tür seiner Wohnung stehen und geht auf ihn zu, mit den langen, stolzen Schritten eines Mannes, der weiß, dass alles, was er sagt, trägt und tut, wichtig ist, eines Mannes, der seine persönliche Macht so gut auszustrahlen weiß, dass nur ein Volltrottel sie nicht wahrnehmen würde.
»Was fällt Ihnen eigentlich ein, Mr. Medoff?«, sagt Twisden, als er sich an Michael vorbeidrängt und die Wohnung betritt. »Ich muss sagen, Ihr mangelndes Urteilsvermögen verblüfft mich.«
»Adam hat mir gesagt, Sie wären im Ausland.«
»Ach, das hat Adam Ihnen gesagt.« Er stößt die Luft aus, als gäbe es keine Worte, um den Schwachsinn von Michaels Bemerkung angemessen auszudrücken. Dann lässt er prüfend den Blick durch die Wohnung schweifen, und Michael spürt, wie ihn langsam ein kaltes Grauen überkommt. Er fragt sich, wie sein Zuhause wohl in diesen eisigen Augen aussieht. »Na?«, sagt Twisden. »Wo ist er?«
Michael räuspert sich. Twisden strahlt einen starken, kupferartigen Geruch aus, und als Michael davor zurückweicht, bemerkt er, dass unter manchen von Twisdens Fingernägeln etwas Rotes klebt.
»Er schläft«, sagt Michael. Irgendwo in seinem Hinterkopf klappert ein Gedanke wie ein Fensterladen, der zu weit weg ist, um sichtbar zu sein: Hat Twisden diese Information womöglich irgendwie von Xavier?
»Adam!«, sagt Twisden laut. »Bitte komm da heraus.«
»Moment, Moment, nur mit der Ruhe«, sagt Michael und tut einen kleinen Schritt auf ihn zu, um sein Selbstvertrauen und seine Selbstachtung wiederzugewinnen. »Sie können hier nicht einfach reinkommen und in der Gegend herumbrüllen. Schließlich habe ich Nachbarn links und rechts.«
»Und die wären sicher ganz begeistert, wenn sie erfahren, dass Sie einen Ihrer kleinen Schüler in diesem miesen Loch versteckt haben.«
Alex Twisdens Imponiergehabe hat seine Gegner zwar oft ihrer Waffen beraubt oder sogar schachmatt gesetzt, aber auf Michael hat es geradezu die gegensätzliche Wirkung. Der spürt zwar, dass er angesichts der Lautstärke und der hasserfüllten Worte, die Twisden hervorstößt, zittert, doch die Unverfrorenheit und die Unterstellung, Michael sei ein erbärmlicher Schwächling, der sich bei einer Konfrontation mit einem echten Mann in die Hosen macht, weckt den angeborenen Trotz im Kern seiner Persönlichkeit. Schwule, aus intoleranten Kleinstädten stammende Männer gehören zu den toughsten Leuten in Amerika.
»He, jetzt reicht es aber, ja?«, sagt Michael. Er sieht, wie Twisdens Augen sich weiten. »Er ist hier mitten in der Nacht einfach aufgekreuzt. Hat gesagt, Sie wären ins Ausland gereist. Sagen Sie mal, was läuft da eigentlich?«
»Was da läuft? Sie haben die Dreistigkeit, infrage zu stellen, wie meine Frau und ich unsere Kinder aufziehen! Es gibt niemanden, der sich intensiver um seine
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