Breed: Roman (German Edition)
vielen Dank«, sagt die Mutter. »Wie nett von dir.«
»Stell es einfach hierher«, sagt der Vater und klopft mit der Hand auf den Boden zwischen sich und der Mutter.
Langsam und vorsichtig, um keinen Tropfen Wasser zu verschütten, geht Alice auf die beiden zu. Sie spürt ihr Herz zucken wie das der Eichhörnchen, die die gemeinen Kids im Park gefangen haben.
»Einfach hierher«, sagt der Mann und klopft noch einmal auf den Boden. Diesmal klingt seine Stimme irgendwie verwaschen.
»Du bist wirklich ein nettes Mädchen«, sagt die Frau mit zuckersüßer Stimme. Ihre Nasenlöcher weiten sich, ziehen sich eng zusammen und werden dann wieder weit.
Alice stellt die Schüssel zwischen die beiden, und in diesem Augenblick stürzt der Mann sich auf sie und packt sie am Handgelenk. Sein Mund ist weit offen und strömt einen scharfen, fauligen Geruch aus. Alice ist fast blind vor Angst. Sie verdreht ihren Arm, um sich zu befreien, aber inzwischen muss sie sich noch gegen etwas anderes wehren, denn die Frau hat sie am Knöchel gepackt.
»Bitte tun Sie mir nicht weh«, sagt Alice, aber als die beiden ihr köstliches junges Fleisch spüren und ihr Flehen hören, werden sie offenbar nur gieriger darauf, sie zu – was werden sie wohl tun? Sie verletzen? Sie zerfleischen? Sie fressen? Alice weiß es nicht. Jedenfalls bringt sie mehr Kraft auf, als sie sich zugetraut hätte, und reißt sich los, zuerst mit dem Bein und dann mit dem Arm.
Sie stolpert zurück, und die beiden stürzen sich auf sie, mit gekrümmten Fingern, Nägeln wie Klauen, hungrig lodernden Augen. Doch gerade als es den Anschein hat, sie könnten Alice ergreifen, sieht sie etwas, was ihr zwar das Leben rettet, sie aber dennoch am allermeisten schockiert: Mitten in der Luft werden die beiden aufgehalten und zurückgerissen. Sie sind am Heizkörper und den Heizungsrohren angekettet, mit schweren Ketten, die um ihre Taille und ihre Unterschenkel geschlungen sind. Alice muss an Bilder aus dem Mittelalter denken, als man die psychisch Kranken erbarmungslos ins Irrenhaus gesteckt hat, wo sie sich an nichts anderem wärmen konnten als an ihrem eigenen Wahnsinn.
Aber sind die beiden tatsächlich wahnsinnig? Sie kommen Alice jedenfalls so vor, während sie sich weiter auf sie stürzen, als könnten sie mit dem nächsten Sprung die schweren Eisenglieder sprengen, die sie festhalten. Alice hat den Halt verloren und liegt auf dem Rücken. Halb schirmt sie ihre Augen gegen den jammervollen Anblick dieser Menschen ab, die sich knurrend und heulend abmühen, sie in die Finger zu bekommen, und halb ist sie gebannt, fasziniert, hypnotisiert von dem, was sie da sieht, bis sie sich schließlich auf den Hosenboden setzt und mit Fersen und Händen abdrückt, um weiter weg zu krabbeln.
Die Tür des Zimmers fliegt auf. Es ist Rodolfo, begleitet von einem Jungen, der enge schwarze Jeans und einen Kapuzenpulli trägt.
»Mom! Dad!«, brüllt der Junge in den schwarzen Jeans. »Scheiße, was soll das?«
Alice kommt auf die Beine und läuft zu Rodolfo, der ihr schützend den Arm um die Schultern legt. Er lächelt leicht.
»Peter«, sagt die Frau, »mach uns los.« Sie ist auf den Händen und Knien.
»Zieh dir was an, Mom«, sagt Peter. »Das vor meinen Freunden? Was ist bloß los mit dir?«
»Sei ein guter Junge, Peter«, sagt der Vater. »Tu, worum wir dich bitten.«
»Hört auf zu bitten.«
»Sei ein guter Junge«, sagt der Vater. Seine Stimme trieft vor Honig. »Komm schon.«
»Ich will raus«, heult Peters Mutter. »Ich will frische Luft atmen. Ich will den Himmel sehen.«
»Tu, was richtig ist, Peter«, sagt der Vater.
»Wieso sollte ich denn was für einen von euch beiden tun?«
»Wir haben dir das Leben geschenkt, Peter«, sagt sein Vater.
»Ja. Und was dann?«
»Wir sollten abhauen«, sagt Rodolfo zu Alice.
»Nein«, sagt Alice und schüttelt den Arm ab, den er um sie gelegt hat. Ihre Augen sind geweitet, und ihr Herz klopft; im Mund spürt sie den süßen und bitteren Geschmack der Erkenntnis.
»Bitte, mein Sohn.«
»Wir haben dich immer geliebt«, sagt die Mutter. »Immer. Egal, was geschehen ist. Auch wenn es anders ausschielt.«
»Ausschielt?«, wiederholt Peter mit verächtlicher Stimme. »Ihr könnt nicht mal mehr normal reden.«
»Tu, worum ich bitte«, sagt der Vater.
»Ich hab
aussieht
gemeint«, sagt die Mutter. »Auch wenn es anders aussieht, haben wir dich immer geliebt.«
»Du kannst uns nicht so behandeln«, sagt der Vater.
»Was soll ich
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