Breed: Roman (German Edition)
Paracetamol.«
»Geben Sie ihm eine ordentliche Menge«, sagt Fleming, als käme das Geld für die Tabletten aus seiner eigenen Tasche, und er würde auf die Kosten pfeifen.
Michael kommt mühsam auf die Beine. Das Zimmer schwankt; er hält sich an der Kante des Arzneischranks fest, um sein Gleichgewicht zu finden. »Schon in Ordnung, mir geht’s gut«, sagt er ebenso zu sich selbst wie zu den anderen. Er klopft sich auf die Taschen, ohne sein Telefon zu finden, dann fragt er Jeanette, ob er ihres benutzen dürfe.
»Wen wollen Sie anrufen?«
»Die Polizei. Natürlich. Ich meine – also, hören Sie mal!«
»Michael«, sagt Fleming. »Zuerst das Jugendamt, nun die Polizei. Das ist nicht unbedingt die richtige Methode, mit dieser Sache umzugehen.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Sind Sie wahnsinnig?«
Fleming sieht Jeanette an und räuspert sich. »Jeanette, darf ich Ihr Behandlungszimmer für ein kurzes privates Gespräch mit Mr. Medoff zweckentfremden?«
Jeanette hat Fleming bisher schon mit einer gewissen Ungläubigkeit betrachtet, und als er sie nun auffordert, ihren Arbeitsplatz zu räumen, weiten sich ihre Augen, und sie schüttelt den Kopf. »Wenn Sie darauf bestehen«, bringt sie schließlich heraus.
»Großartig«, sagt Fleming. Er wartet, bis sie verschwunden ist, und sobald die Tür sich hinter ihr geschlossen hat, wendet er sich Michael zu und sagt mit großer Dringlichkeit: »Ich möchte, dass Sie mir erlauben, diese Situation zu regeln, Michael. Ich habe gute Bekannte beim Jugendamt und werde dafür sorgen, dass ein Bericht angefertigt wird. Was die Polizei angeht, glaube ich, wir sollten einen kühlen Kopf bewahren. Verstehen Sie mich nicht falsch – was Mr. Twisden Ihnen angetan hat, ist absolut unakzeptabel. Allerdings will ich Sie davor bewahren, in ein Hickhack mit diesem Kerl hineingezogen zu werden. Verstehen Sie? Die beiden werden Sie beschuldigen, ihren Sohn Adam belästigt zu haben. Und ich glaube, Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass es auf der Welt keinen größeren Kämpfer für die Rechte der Homosexuellen gibt als mich, aber egal, wie liberal und modern man in New York angeblich ist, schwule Lehrer sind angreifbar. Wenn es um Kinder geht, ist jedermann ein klein wenig reaktionär. Ich wünschte, das wäre nicht der Fall. Ich wünschte, wir würden in einer besseren Welt leben.«
»Habe ich Ihnen jemals gesagt, ich sei schwul?«, fragt Michael.
Fleming schaut überrascht drein.
»Wieso bezeichnen Sie mich dann als schwulen Lehrer?«, bohrt Michael weiter. »Sehe ich etwa schwul aus? Rede oder gehe ich wie ein Schwuler? Bin ich schon mal mit einem Regenbogenschal in die Schule gekommen?«
Auch wenn Flemings persönliches Ich durch Michaels Fragen durcheinandergeraten sein sollte, sein offizielles Ich ist unerschütterlich. »Für mich ist Ihr Privatleben ohne Interesse und Bedeutung. Aber für Twisden und Kramer liegt die Sache anders, und ich will nicht, dass die beiden irgendwelche Anschuldigungen von sich geben. Ich will noch nicht mal Andeutungen hören. Die Twisdens gehören zu den bekanntesten Familien der Stadt. Adam und Alice bezahlen die vollen Studiengebühren und nehmen keinerlei finanzielle Hilfe in Anspruch, was uns dabei hilft, unser Stipendienprogramm für die Söhne und Töchter von Ärzten, Zahnärzten und anderen weniger begüterten New Yorker Familien fortzuführen. Wenn Sie die Eltern gegen sich aufbringen, werden Sie a) überhaupt nichts erreichen, b) eine wertvolle finanzielle Quelle für unsere Schule aufs Spiel setzen, und c), und das ist der wichtigste Aspekt, Mike, und das sage ich nicht nur als Ihr Vorgesetzter, sondern auch als jemand, den Sie hoffentlich als Freund betrachten können, werden Sie in einen ekelhaften Sexskandal hineingeraten. Und bei solchen Skandalen ist eines klar – jeder verliert, besonders der Beschuldigte.«
Während Michael sich darauf vorbereitet, Flemings Argumente zu widerlegen, wird er von einem lauten Klopfen an der Tür unterbrochen. Beide Männer drehen sich nach dem Geräusch um, und bevor einer von ihnen
Kommen Sie rein
oder
Moment noch
sagen kann, geht die Tür auf, und vor ihnen steht Mrs. Fillmore, eine untersetzte, grimmige Dame, die seit achtunddreißig Jahren als Sekretärin der Schule tätig ist. Ihr weißes Haar hat einen seltsam mädchenhaften Schnitt, und sie trägt eine große, schwarz gerahmte Brille.
»Wir haben einen Anruf von der Polizei erhalten«, sagt sie und sieht Michael an.
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