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Breed: Roman (German Edition)

Breed: Roman (German Edition)

Titel: Breed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chase Novak
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befindet sich hinter einer dieser Türen eine Toilette, aber sie hat Angst, eine zu öffnen und etwas zu sehen, was sie nicht mehr vergessen kann.
    Dies ist seit Jahren der erste Morgen, an dem sie aufgewacht ist und nicht darauf warten musste, dass ihr Vater oder ihre Mutter ihre Zimmertür aufschließen.
    Behutsam klopft sie an eine zufällig ausgewählte Tür. »Hallo?«, sagt sie und wartet. »Hallo?«
    Sie hört ein Geräusch, das klingt, als ob sich jemand räuspert, gefolgt von rasch zur Antwort geflüsterten Worten.
    »Komm rein!« Es ist eine Frauenstimme, fröhlich und einladend, wie die einer Verkäuferin in einer Bäckerei oder einer netten Lehrerin.
    »Entschuldigung«, sagt Alice. »Ich suche nach der Toilette.«
    »Hier drin ist eine, Schatz«, sagt die Frau. »Die kannst du benutzen.«
    »Komm nur rein«, fügt eine Männerstimme hinzu. Diese Stimme ist nicht so freundlich – sie klingt müde und unglücklich.
    Nun hat Alice keine andere Wahl, als die Tür zu öffnen. Der Raum ist dunkel; die Fenster sind mit Decken verhängt. Die einzige Beleuchtung ist ein Nachtlicht mit dem Bild von Arielle, der Meerjungfrau, doch selbst in den schweren Schatten dieses Raums – aller Möbel beraubt, eiskalt und mit dem überwältigenden, desorientierenden Gestank von verbranntem Haar, verrotteter Nahrung, Fäkalien und Urin – kann Alice zwei Gestalten erkennen. Es sind Erwachsene, die nebeneinander auf dem Boden hocken, mit hochgezogenen Knien und lodernden Augen.
    »Guten Tag, kleines Mädchen«, sagt die Frau. Nun merkt Alice, dass ihre Stimme eigentlich gar nicht freundlich ist, sondern nur so klingen soll.
    »Tag«, sagt Alice. Ihre Augen gewöhnen sich allmählich an die schlammig graue Düsternis des Raums, und sie kann die beiden Erwachsenen auf dem Boden genauer betrachten. Beide haben langes ergrautes Haar und sind am Oberkörper nackt. Unten tragen beide Jogginghosen aus glänzendem Stoff; der Mann hat ein Hosenbein hochgezogen und kratzt unablässig an etwas auf seinem Schienbein, das ihn zu stören scheint. Neben den beiden steht eine Schüssel, daneben liegt eine zweite, die umgedreht worden ist.
    »Ich kann mich nicht an dich erinnern«, sagt die Frau. »Ich bin Peters Mutter. Bist du eine Freundin von unserem Sohn?«
    »So ungefähr.«
    »Wie alt bist du denn, Schatz?«, fragt die Mutter.
    »Zehneinhalb.«
    »Ach! Was für ein schönes Alter!«
    Der Vater hebt die umgedrehte Metallschüssel auf und schubst sie über den Boden auf Alice’ Füße zu, wo sie klappernd und tönend stehenbleibt. »Du suchst nach einer Toilette, ja? Die ist da drüben.« Er deutet auf eine Tür hinter ihm. »Und während du drin bist, wäre es nett, wenn du da Wasser einfüllen könntest. Kaltes Wasser. Lass es eine Weile laufen, bevor du die Schüssel füllst. In diesem alten Gebäude hat sich in den Leitungen allerhand abgesetzt.«
    Der Drang, auf die Toilette zu gehen, ist unwiderstehlich. Alice ergreift die Schüssel und geht in das kleine Bad hinter dem Zimmer der Eltern, wobei sie sich fragt, wieso diese sich nicht selbst Wasser holen können, wieso sie auf dem Boden hocken, wieso sie in diesem eiskalten Raum praktisch nichts angezogen haben, wieso es hier so dunkel ist und so scheußlich riecht. Doch das Verhalten von Erwachsenen ist oft unerklärlich, beunruhigend und seltsam, und sie ist so daran gewöhnt, Nachsicht mit Menschen zu haben, die moralisch verpflichtet wären, sie zu lieben und zu beschützen, dass sie es sich inzwischen angewöhnt hat, niemanden zu verurteilen.
    Das Bad ist klein, kalt und riecht nach Ammoniak. Der Boden ist mit vielen Schichten Zeitungen belegt, die teils feucht und teils zerfetzt sind. Um sich zu waschen, gibt es nur ein kleines Becken; der Warmwasserhahn ist entfernt worden und gibt den Blick auf einen langen, rostigen Bolzen frei. Die Kloschüssel ist eine Katastrophe, und Alice vermeidet es, sich daraufzusetzen, während sie sich erleichtert. Wenigstens ist Toilettenpapier vorhanden. Allerdings sind auf jedes Blatt dämliche Witze gedruckt, und auf manchen sind Zeichnungen von Mädchen mit dickem Busen, die ihre Ellbogen auf den Rand riesiger Cocktailgläser stützen.
    Das Medizinschränkchen, das früher über dem Waschbecken gehangen haben muss, ist verschwunden, und Alice blickt auf die nackte, ramponierte Wand, während kaltes Wasser in die Schüssel donnert. Dann trägt sie diese zu den am Boden kauernden Eltern. »Wo soll ich das hinstellen?«, fragt sie.
    »Oh,

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