Breeds: Harmonys Spiel (German Edition)
Joseph daraufhin. »Aber ich weiß jetzt, warum ich die Schreie im Wind gehört habe. Sie ist eine verwundete Frau, nicht wahr?«
Verwundet war ein milder Ausdruck für das, was Lance in Harmonys Seele wahrnahm. Manchmal konnte er ihre Albträume spüren, den Schmerz, der sie weitertrieb, und ihre Angst, irgendwann einmal jemanden zu brauchen.
»Ja. Das ist sie.« Er stellte das Glas geräuschvoll auf den Bartisch und verzog schmerzlich das Gesicht. »Jonas hat sie hergebracht, und ich habe den Verdacht, er spielt ein sehr gefährliches Spiel mit ihr.«
»Ach ja, Jonas Wyatt.« Joseph seufzte. »Dieser junge Löwe ist ein schwieriger Charakter. Er kämpft gegen das an, was er ist und wonach seine Seele verlangt. Wenn ein Krieger gegen einen so wesentlichen Teil seiner selbst ankämpft, wird er dabei zwangsläufig andere verletzen. Sein Schicksal ist es, seine Lektionen auf die harte Tour zu lernen.«
»Und zwar mithilfe meiner Faust, wenn er so weitermacht«, zischte Lance. »Ich habe seine Spielchen langsam satt. Vor allem das, das er mit Harmony spielt.«
»Ich glaube, es gibt viele Mächte, die es gern sähen, dass sie dir genommen wird, Enkelsohn. Nicht nur Jonas. Die Frage ist, wirst du ihnen erlauben zu nehmen, was allein dir gehört?«, fragte Joseph. »Verständnis ist eine edle Tugend bei einem Mann. Aber manchmal muss ein Mann seiner Frau zeigen, dass er in der Tat ein Mann ist und stark genug, es mit ihr aufzunehmen. Manchmal lernt die Frau dann, was sie wissen muss, wenn die Gefahr sich nähert und ihren Namen flüstert. Vielleicht solltest du einmal darüber nachdenken.«
Lance starrte seinen Großvater an und verfluchte wieder einmal, wenn auch lautlos, die Rätsel, in denen Joseph Redwolf sich auszudrücken beliebte. Er konnte einem niemals etwas einfach klar und deutlich sagen. Alles musste eine Lektion sein oder ein Rätsel, das man zu lösen hatte.
»Bleibst du zum Abendessen?«, fragte Lance, um die Stimmung aufzulockern. Wie üblich würden ihm die Antworten entweder zufliegen oder das Leben würde ihn so hart treffen, dass er einsah, was sein Großvater ihm hatte sagen wollen.
»Abendessen klingt gut, aber ich habe Megan versprochen, nach meinem Besuch bei dir mit ihr und ihren jungen Breeds zu essen. Sie macht sich Sorgen um dich. Sich in dieser Zeit von dir fernzuhalten ist nicht leicht für sie, aber ich verstehe jetzt, weshalb du sie darum gebeten hast. Die Emotionen, die im Inneren deiner jungen Löwin gefangen sind, würden sie überwältigen.«
»Ja, das würden sie.« Verdammt, sie überwältigten ihn ja beinah selbst, und er war nicht empathisch begabt. »Grüß Megan ganz herzlich von mir, Großvater. Und sag ihr, dass ich sie bald besuche.«
»Werde ich ausrichten.« Joseph nickte und wandte sich zum Gehen. »Und du, halte deine junge Freundin dicht an deiner Seite, Lance. Gib der Gefahr, die sie verfolgt, keine Chance. Sie hat keine wahren Freunde außer dir. Noch nicht.«
Und mit dieser abschließenden mysteriösen Bemerkung ging Joseph. Lance schenkte sich einen weiteren Drink ein. Es würde noch ein langer Abend werden.
Es gab Momente, da war Harmony dankbar für ihre tierischen Instinkte, und in anderen Momenten verwünschte sie sie. Als sie ins Haus trat und merkte, dass sie die Anwesenheit von Lance’ Großvater nicht wahrgenommen hatte, war das einer der Momente, in denen sie sie verwünschte.
Es gab Menschen, denen man um jeden Preis ausweichen musste, einfach weil sie so sehr ein Teil der Natur waren, dass die Erde zu ihnen sprach. Die Löwin in ihr erkannte Joseph Redwolf als einen solchen Menschen. Er war ein Kind der Erde, vollkommen im Einklang mit ihr, und daher fähig, Dinge zu sehen, die andere nicht sehen konnten. Wie seine Enkelin Megan Arness und doch ganz anders.
Harmony hatte die subtile Veränderung der Macht um sie herum nicht wahrgenommen, an der sie normalerweise erkannte, dass ein Medium anwesend war. Aber sie wusste auch, dass es Menschen gab, die Dinge sahen, Dinge wussten, ohne sich jemals an ihren Schutzschilden zu stoßen. Sie vermutete, dass Lance’ Großvater zu diesen Menschen gehörte. Und sie fragte sich langsam, ob Lance ebenfalls dazugehörte, denn er fand immer wieder Wege, ihre Schutzschilde zu umgehen. Mit einem Blick. Einer Berührung. Einem gewissen Tonfall.
Sie befürchtete ernsthaft, dass sie, wenn sie noch länger blieb, es nicht mehr übers Herz bringen würde zu gehen. Es war nicht ihre Art, Bindungen einzugehen oder
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