Brenda Joyce
Sie
hatte den Eindruck, dass Bragg die Aussicht auf besagte Verpflichtung nicht
sonderlich lockte, doch sie konnte sich die Obliegenheiten vorstellen, die
eine Stellung wie die seine mit sich brachte. Sie nickte und rang sich ein
kurzes Lächeln ab.
»Und ich sollte mich nicht wie eine Nonne von
der Welt abkapseln«, sagte sie und hoffte, dass ihrem Tonfall dabei eine
gewisse Leichtigkeit anhaftete. Sie trat vom Schreibtisch zurück. »Das Telefon
steht Ihnen zur Verfügung.«
»Vielen
Dank«, erwiderte Bragg.
Francesca war bewusst, dass sie sich ein wenig
seltsam benahm. Ob er es wohl bemerkte? Sie lächelte erneut und schritt an ihm
vorbei zur Tür, wobei sie darauf achtete, einen Bogen um ihn zu machen, ganz
so, als sei es eine strafbare Handlung, ihm nahe zu kommen. An der Tür wandte
sie sich noch einmal halb um.
Bragg hatte bereits den Telefonhörer abgenommen und schaute
Francesca über die Schulter hinweg immer noch unverwandt an. Sie hatte keine
Ahnung, was dieser Blick zu bedeuten hatte, und verließ fluchtartig den Raum.
»Fran!«
Francesca wirbelte herum und sah sich Evan gegenüber. Ihr Bruder,
ein schneidiger, gut aussehender junger Mann, packte ihre Hand. »Es gibt
jemanden, den du unbedingt kennen lernen musst«, sagte er mit einem Funkeln in
den blauen Augen.
Francesca brachte kein Lächeln zustande. Warum befand sie sich nur
schon wieder in einem solch aufgelösten Zustand? Was geschah mit ihr? Sie war
doch gewiss nicht so durcheinander und atemlos, weil sie Rick Bragg anziehend
fand? Immerhin war sie eine erwachsene, reife Frau und – was noch viel
wichtiger war – intelligent und aufgeschlossen dazu. Sie würde sich doch wohl
kaum einer albernen Vernarrtheit hingeben!
»Fran?
Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?« Evan zog an ihrer Hand. Er war knapp einen
Meter achtzig groß und hatte rabenschwarzes, lockiges Haar, weshalb er Francesca
immer an die klassische Darstellung eines griechischen Dichters oder Gottes
erinnerte.
»Tut mir Leid!«, rief sie und entzog ihm ihre Hand. Sie rieb sich
die Schläfen und schenkte ihrem Bruder, den sie über alles liebte, endlich ein
Lächeln. »Tut mir Leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
»Dieses Studium laugt dich aus«, sagte Evan neckend und zerrte sie
den Korridor entlang, vorbei an zahllosen Skulpturen und Gemälden, bis in das
Empfangszimmer, in dem sich inzwischen Dutzende von Gästen befanden. »Ich bin
gespannt auf deine Meinung«, sagte er mit dem für ihn typischen Enthusiasmus.
»Du musst sie unbedingt kennen lernen!«
Die beiden gingen auf eine Gruppe von drei Frauen in Francescas
Alter zu. Die hübschen Gesichter kamen ihr bekannt
vor, doch sie erinnerte sich nicht an die Namen der Frauen. Francesca
hatte nur wenige Freundinnen außerhalb dem College. Es fiel ihr schwer, sich
mit den jungen Frauen zu unterhalten, die zu
den Festlichkeiten ihrer Mutter erschienen. Sie wollten gemeinhin über
Mode und Männer reden, während Francesca an Diskussionen über aktuelle politische
Themen interessiert war. Das Kichern der jungen Frauen verstummte, als Evan
mit seiner Schwester vor ihnen stehen blieb. Francesca bemerkte amüsiert, mit
welch sehnsuchtsvollen Blicken zwei von ihnen ihren Bruder ansahen.
Aber Evan war natürlich auch eine gute Partie. Er war der
Cahill-Erbe, und das war in den gesellschaftlichen Kreisen nur allzu gut bekannt. Doch obwohl Francescas
Bruder zu den begehrtesten Junggesellen zählte, wusste sie, dass seine
Liebschaften nicht von der Art waren, die die Gesellschaft akzeptierte. Natürlich gab Francesca vor, keine
Ahnung von seinen verschiedenen Mätressen zu haben, und selbst ihre Mutter
schaute geflissentlich darüber hinweg. Daher konnte sich Francesca kaum
vorstellen, dass Evan sie jetzt mit einer der jungen Damen als seine Zukünftige
bekannt zu machen gedachte. Was mochte dies also zu bedeuten haben?
»Fran, das sind Miss Marcus,
Miss Berlendt und Miss Channing. Verehrte Damen – meine Schwester,
Francesca Cahill.«
Ein Chor
aus Hallos und Gekicher setzte ein, und zu Francescas Erheiterung erröteten
die beiden Frauen, die ihren Bruder noch immer mit großen Augen anstarrten. Wie
durchschaubar sie doch waren!
Eine Ausnahme bildete Miss
Channing. Sie war eine blasse, zierliche Brünette mit großen braunen Augen, die
man nur als seelenvoll beschreiben konnte.
Wie Francesca trug auch Sarah Channing kein Rouge, doch ihr Kleid war
schrecklich überladen mit Rüschen und Volants und einer
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