Brenda Joyce
Gegensätze anzogen. »Sie ist eine eigenartige
Person«, ertönte plötzlich die Stimme von Miss Berlendt hinter Francesca.
Der Tonfall, in dem die Bemerkung gemacht wurde, ließ Francesca
unwillkürlich erstarren. Sie war überzeugt, dass Miss Berlendt die schüchterne
Sarah Channing gemeint hatte. Obwohl Francesca Sarah kaum kannte, drehte sie
sich spontan um, um Evans neueste Herzensdame – wenn Miss Channing dies
wirklich war – zu verteidigen.
»Überaus exzentrisch«, hörte sie in diesem
Moment Miss Marcus sagen, die nun weder albern noch einfältig klang. »Ja, und
sie wirkt so unglaublich distanziert, findest du nicht auch?«, fuhr Miss
Berlendt leise fort. »Vielleicht hält sie sich für etwas Besseres, weil sie
eine Cahill ist. So wirkt es zumindest. Sie hat einfach durch uns
hindurchgeguckt, ganz so, als wären wir Luft für sie! Nun, wenn sie nicht eine
Cahill wäre, stünden ihr wohl nicht viele Türen offen, da bin ich mir gewiss.
Sie mag ja schön sein, aber bei ihrem männlichen Benehmen und ihren Ansichten
hätte sie nicht einen einzigen Verehrer.«
Während Miss Berlendt Francesca einen kalten
Blick zuwarf und dann Arm in Arm mit ihrer Freundin davonschlenderte, stand
Francesca für einen Moment wie gelähmt da. Dann durchquerte sie bedächtig das
Empfangszimmer und rief sich dabei in Erinnerung, dass sie sich nicht darum
scheren musste, was diese beiden oberflächlichen Frauen von ihr
dachten, da sie nichts, aber auch gar nichts gemein hatten. Trotzdem spürte
Francesca, dass ihre Augen in Tränen schwammen.
Dabei war sie doch so stolz auf ihre Bildung, auf ihre Intelligenz
und auf ihr Interesse am politischen Geschehen! Wütend wischte sie sich eine
Träne von der Wange. Sie hatte nicht distanziert wirken wollen, und es war auch
nicht ihre Absicht gewesen, irgendjemanden anzusehen, als sei er Luft. Hatte
sie das wirklich getan?
Francesca verließ das Zimmer und schritt langsam den Korridor
entlang. Dann blieb sie stehen und lehnte sich für einen Augenblick gegen die
Wand. Sie wusste, dass sie jetzt zum Ballsaal hinaufgehen musste und atmete
tief ein, um sich zu beruhigen.
Ob andere Mitglieder der Gesellschaft sie
wohl auch für eine eigenartige, unhöfliche Person hielten? Plötzlich fiel ihr
Bragg ein. Hatte auch er sie als eigenartig empfunden? Als männlich? Oh, Gott!
Wenn es sich so verhielte, würde sie auf der Stelle tot umfallen.
Francesca
blinzelte eine weitere aufsässige Träne weg. »Ach, Unsinn«, flüsterte sie dann
laut. »Ich bin eine Intellektuelle, und diese dummen Dinger haben nichts
anderes im Kopf als zu heiraten und ihr Leben mit einkaufen zu verbringen. Wir
leben in verschiedenen Welten. Natürlich halten sie mich für seltsam. Aber das
ist ganz und gar nicht wichtig.«
»Francesca? Gehst du hinauf? Schätzchen! Was ist geschehen?«, ertönte in
diesem Augenblick Julias Stimme.
Francesca
erstarrte. Ihre Mutter war der letzte Mensch, dem sie in diesem Augenblick
begegnen wollte. »Natürlich gehe ich nach oben, Mama!«, rief sie betont
fröhlich.
»Du hast dich doch über
irgendetwas aufgeregt«, sagte Julia und blieb neben ihrer Tochter stehen. »Was
ist geschehen?«
Francesca hörte sich antworten:
»Ich weiß wirklich nicht, warum du mir das immer wieder antust, Mama. Ich habe
mit solchen Leuten nichts gemein!«
Julia
blickte ihrer Tochter forschend ins Gesicht, lächelte dann und hakte sich bei
ihr unter. »Francesca, du bist jung und schön, und schon allein dadurch hast du
viel gemein mit jeder einzelnen jungen Dame auf diesem Fest. Hör bitte auf, dir
einzureden, dass du anders bist als sie. Das tut dir nicht gut. Bitte,
Francesca, hör auf mich, nur dieses eine Mal. Schließlich bin ich deine Mutter,
und niemand liebt dich mehr als ich. Ich will doch nur dein Bestes.«
Francesca seufzte und brachte ein schwaches
Lächeln zustande. Ihre Mutter würde sie nie verstehen. »Ich bin anders
als die anderen«, flüsterte sie. »Und außerdem bin ich sehr müde ...«
»Lass uns nach oben gehen, der Ball wird jeden Moment beginnen.
Und warte, bis du erst das Buffet siehst«, fügte Julia hinzu und führte ihre
Tochter zur Tür.
Francesca blieb keine andere Wahl, aber das
war nichts Außergewöhnliches, wenn es um ihre Mutter ging. Als die beiden
Frauen das Empfangszimmer verließen, hatte Francesca das Gefühl, als werde sie
beobachtet. Sie machte sich von ihrer Mutter los und schaute über ihre Schulter
zurück. Sie erstarrte, als sie Montroses Blick
Weitere Kostenlose Bücher