Brenda Joyce
das Herz
stehen. In diesem Augenblick kam der Aufzug. Bragg öffnete die Tür, half
Francesca hinein, und sie fuhren gemeinsam nach unten. »Wie wäre es mit
Samstag?«, fragte sie, ein wenig heiser.
»Samstag also. Wunderbar.« Im Erdgeschoss angekommen öffnete Bragg
die Gittertür und begleitete Francesca durch die Halle und die Eingangstreppe
hinunter. »Ich hoffe, ich benehme mich nicht allzu unhöflich, wenn ich Ihren
Besuch auf diese Weise verkürze. Aber ich habe sehr viel zu tun und bezweifle,
dass ich heute Abend vor elf oder zwölf Uhr aus dem Büro kommen werde.« Mittlerweile
standen sie vor Francescas Kutsche.
Plötzlich fiel Francesca auf, dass es draußen
mit minus acht Grad viel zu kalt war für Bragg, der seine Anzugjacke nicht
übergezogen hatte. »Bragg, Sie werden sich noch den Tod holen!«, rief sie. Doch
dann fügte sie stirnrunzelnd hinzu: »Moment mal ... Sie haben mich doch nicht
etwa so schnell aus ihrem Büro befördert, weil an diesem Carrington-Fall etwas
dran ist, was ich nicht wissen soll?«
Er wandte die Augen zum Himmel, als bitte er
dort um Gnade. Dann sah er sie an. »Francesca, die Ermittlung ist streng
geheim.«
Streng geheim – wie aufregend! Sie strahlte
ihn an.
Bragg stöhnte. »Bitte versuchen Sie sich aus sämtlichen
Schwierigkeiten herauszuhalten, Francesca – zumindest bis Samstag.«
Ihr Strahlen wurde breiter. »Natürlich werde
ich mich aus Schwierigkeiten heraushalten.« Insgeheim beschloss sie, Mrs
Carrington sehr bald einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Gewiss konnte die
Dame von Francescas Diensten profitieren – jetzt, da sie so gut darauf
vorbereitet war, sie anzubieten. »Darf ich Sie um zwölf Uhr abholen? Ich kenne
ein wundervolles Gasthaus an der Oyster Bay, wo wir Halt machen und zu Mittag
essen können«, sagte Bragg.
»Zwölf Uhr wäre wunderbar«, erwiderte
Francesca vergnügt. Sie befand sich in Hochstimmung. Ein weiterer Fall, den
sie zusammen lösen würden, und eine Spazierfahrt aufs Land am Wochenende!
Vielleicht würde Bragg ihr ja doch noch den Hof machen. Mag Mutter doch sagen,
was sie will!, dachte Francesca.
Erst als Bragg die Tür der Kutsche für sie öffnete, fiel ihr
plötzlich der Grund ihres Besuches wieder ein – oder zumindest einer der
Gründe ...
»Bragg! Beinahe hätte ich es vergessen. Es gibt etwas, das ich
Ihnen zeigen möchte.«
Sie lächelte ihn an, während sie in ihre Handtasche griff und
einen kleinen Stapel elfenbeinfarbener Visitenkarten hervorzog, die sie gerade
bei Tiffany's abgeholt hatte. »Sind vor einer Stunde frisch aus der Presse
gekommen«, sagte sie triumphierend.
Während er las, wurden seine Augen immer größer. »Francesca
Cahill, Kriminalistin aus Leidenschaft, 810 Fifth Avenue, New York City.
Akzeptiere alle Fälle. Kein Verbrechen zu geringfügig.« Bragg blickte sie
ungläubig an.
Sie strahlte. »Ich muss gestehen, dass es Connie war, die auf
»Kriminalistin aus Leidenschaft« gekommen ist.«
Er schwieg. Offenbar hatte es ihm die Sprache verschlagen.
»Bragg?«
»Francesca!« Er lief rot an. »Sie sind kein
Detective! Wir haben ausgebildete Kriminalbeamte bei der Polizei, und dann gibt
es da noch die Pinkertons! Sie sind eine Frau!«
Seine altmodische, typisch männliche
Einstellung zu ihrer neuen Tätigkeit überraschte sie nicht. »Bragg, ich werde
mich nicht davon abhalten lassen, meiner wahren Berufung zu folgen, bloß weil
ich eine Frau bin«, sagte sie ruhig.
»Bloß weil
Sie eine Frau sind!«, ereiferte er sich.
»Also, ich finde, die Karten sind wunderhübsch geworden«, sagte
Francesca mit fester Stimme.
»Und was meinen Sie mit ... mit Ihrer wahren Berufung?«, fragte
er.
»Ich werde
meine Dienste denjenigen anbieten, die Hilfe bei der Aufklärung eines
Verbrechens benötigen«, sagte sie. »Und was ist mit Ihren Eltern?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ach, Sie kennen ja meine Eltern!
Papa wird glauben, dass er sich deshalb nicht den Kopf zerbrechen muss, weil ich
der Sache ohnehin schon bald überdrüssig werde. Aber natürlich beabsichtige
ich, es so lange wie möglich vor ihnen geheim zu halten.«
Bragg starrte sie an, als sei sie gerade vor seinen Augen vom Mond
herabgestiegen.
Francesca kletterte in die Kutsche und winkte ihm zum Abschied
zu. »Bis Samstag dann, Bragg«, sagte sie.
Doch in Gedanken war sie bereits bei der
armen Mrs Carrington, die so stolz war auf ihre Kunstsammlung, und fragte sich,
wann und wie das Gemälde gestohlen worden war. Ob Bragg wohl
Weitere Kostenlose Bücher