Brenda Joyce
ließen ihn die anderen in Ruhe.
Kann Ihnen gar nicht sagen, wie überrascht ich war, als mein Musterhäftling
plötzlich auf und davon war«, setzte Timbull stirnrunzelnd hinzu.
Francesca zitterte noch immer. Zu ihrer Freude rieb Bragg leicht
ihren Arm, wenn auch ohne sie dabei anzusehen. »Was ist mit Craddock?«, fragte
er den Gefängnisdirektor. »Erinnern Sie sich auch noch an ihn?«
»Zuerst nicht, bis ich seine Akte gelesen habe. Ha!«,
schnaubte Timbull. »Also der Bursche war ein echtes Problem. Der war in mehr
Schlägereien verwickelt, als man zählen konnte. Saß zwei Dutzend Mal in Einzelhaft. Einmal hat er doch
tatsächlich einem Mithäftling eine Zahnbürste ins Auge gerammt. Der Mann war
von da an blind. Bei dem Streit ging's um eine Frau, die einen der Insassen
besuchen kam. Nichts wie Ärger mit ihm, vom ersten Tag an«, berichtete Timbull
finster. »Der hat wahrhaftig nicht davor zurückgeschreckt, einem anderen Mann
das Auge auszustechen.«
Francesca
und Bragg wechselten einen Blick.
»Das überrascht mich nicht«, bemerkte
Francesca. »Wie standen die beiden zueinander, Shoz Savage und Joseph Craddock?«
»Keine
Ahnung.« Timbull grinste sie an.
Enttäuscht fragte Francesca weiter: »Gibt es noch jemanden im
Gefängnis, der bereits 1890 dort war und mit dem wir vielleicht sprechen
könnten?«
»Wohl kaum«, entgegnete Timbull. »Noch so um die fünf Minuten,
dann sind wir da. Das Gefängnis steht dort oben auf dem Hügel.«
Francesca folgte seinem Blick, konnte jedoch im Dunklen nur vage
einige Kuppen in der Landschaft erkennen.
Bragg sagte: »Ich habe zwei meiner Männer ein wenig nachforschen
lassen, Warden.«
Der Gefängnisdirektor zog eine Augenbraue hoch. Francesca blickte
Bragg überrascht an.
»Offenbar gab es einen größeren Skandal, kurz nachdem Sie in Fort
Kendall die Leitung übernommen hatten.«
Timbull starrte einen Moment lang schweigend vor sich hin, ehe er
erwiderte: »Sie meinen sicher den Mord.«
Francesca fuhr herum. »Ein
Mord? Wer wurde ermordet?« Timbull seufzte. »Bloß einer der Häftlinge, Ma'am.«
»Die Tat
wurde nie aufgeklärt«, ergänzte Bragg in sachlichem Ton.
»Und eine Woche später ist Shoz geflohen. Das war Ende Februar 1890.«
Timbull ruckte grummelnd an den Zügeln, um das Pferd anzutreiben.
Francesca konnte es nicht fassen, dass Bragg ihr davon noch nichts
erzählt hatte. Natürlich konnte es völlig bedeutungslos sein, dass ausgerechnet
kurz vor Shoz' Flucht ein Mithäftling ermordet worden war ... oder aber höchst
bedeutsam.
»Warden? Sie erinnern sich doch gewiss an den ersten und einzigen
Skandal während Ihrer Amtszeit?«
Timbull spuckte neben den Buggy auf den Boden. Er schien beinahe
zornig. »Eines Morgens fand ein Wärter ihn in seiner Zelle, aufgeschlitzt und
gehängt. Der Coroner sagte, dass der Mann an Genickbruch starb, nicht am
Blutverlust. Jemand hat ihn sich gründlich vorgeknöpft.«
»Sie meinen gefoltert?«, hauchte Francesca.
»O ja, allerdings, er wurde gefoltert. Und zwar nach Indianerart.
Langsam und qualvoll.«
Francesca mochte gar nicht daran denken, dass Lucys Mann ein
beinahe reinblütiger Apache und, wie seine Frau selbst gesagt hatte, ein
harter, gefährlicher Mann war. »Wer war das Opfer?«, flüsterte sie.
»Ein gewisser Cooper, Randy Cooper. War eine große Nummer im
Knast. Die Nummer eins sozusagen. In jedem Gefängnis gibt es einen König und
seine Armee. Cooper war der König. Großer, schlauer Bursche und kalt wie Eis –
wenn das nicht noch untertrieben ist. Jeder, der nicht nach seiner Pfeife
tanzte, war früher oder später dran. Sie wissen schon.« Er warf Bragg einen
vielsagenden Blick zu. »Gab keinen einzigen Zeugen, wenn Sie verstehen. Wir
sind da«, fügte er hinzu, während der Buggy durch ein Tor rollte, das an den
Eingang einer Festung erinnerte.
Ein Stück voraus erblickte Francesca ein lang gestrecktes, hässliches
Gebäude, das von einem Palisadenzaun eingeschlossen war. Sie schauderte. Auf
einmal erschien ihr dieses Gefängnis als ein entsetzlich abstoßender Ort.
Bragg wandte sich an Timbull. »Irgendeine Vermutung, warum Cooper
gefoltert und ermordet wurde? Irgendein Verdacht, wer es getan hat?«
»Der Fall wurde untersucht, aber nachdem aus
niemandem auch nur ein einziges Wort über ihn oder den Mord rauszubekommen war,
wurden die Ermittlungen eingestellt. Er war ein brutaler, skrupelloser Kerl,
Commissioner. Ein König mit seiner eigenen Armee – selbst die Wärter
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