Brenda Joyce
Wimpern. Sie und ihr Mann hatten sowohl Hart
als auch Bragg bei sich aufgenommen, nachdem diese schon früh ihre Mutter
verloren hatten. Sie legte Hart eine Hand an die Wange. »Warum musste erst so
viel Zeit vergehen? Warum, Calder?«
Hart zögerte. »Es ist schön, euch wiederzusehen«, sagte er. Francesca
war ziemlich erschrocken, denn sie hatte Hart noch nie derart verunsichert
erlebt. Für gewöhnlich war er unerträglich arrogant.
»Und ich freue mich so, dich zu sehen! Macht es dir auch bestimmt
nichts aus, dass wir alle bei dir wohnen? Ich möchte dir auf keinen Fall
Umstände bereiten«, sagte Grace leise.
Er zuckte noch einmal mit den Schultern, wobei er jedoch rot
anlief. »Ich habe weiß Gott reichlich Platz.«
Francesca musste an seine Villa denken, die riesig wie ein Museum
war.
Rathe hatte Hart an der Schulter gefasst – eine Geste warmer
Zuneigung, die in krassem Gegensatz zu Harts steifer Haltung stand. »Du siehst
gut aus. Auch ich freue mich, dich zu sehen, mein Sohn.«
Hart nickte nur und wandte sich hastig ab, damit die anderen nicht
sahen, wie gerührt er war. Doch Francesca war es nicht entgangen, und sie
argwöhnte, dass seine Augen nicht ganz trocken blieben.
Plötzlich wurde sie gewahr, dass Bragg sie beobachtete. Von
Schuldgefühlen erfasst, lächelte sie ihm zu, doch er erwiderte das Lächeln
nicht.
Hart hatte sich nun Lucy zugewandt. »Francesca hält sich für eine
Detektivin«, bemerkte er obenhin. Und mit einem missbilligenden Blick zu ihr
fuhr er fort: »Sie liebt es, sich selbst in Gefahr zu bringen – ich nehme an,
es ist ein Rauschempfinden ähnlich dem, das andere beim Glücksspiel erleben
... oder bei heimlichen Liebschaften.«
Francesca runzelte die Stirn. »Bitte.« Solche Anspielungen kamen
ihr nun wirklich alles andere als gelegen.
Bragg seufzte verärgert. »Lass es gut sein,
Calder.«
Doch Hart hörte nicht auf seinen Bruder. »Verschafft es Ihnen
nicht einen Adrenalinstoß, wenn Sie einem geisteskranken Verbrecher
gegenüberstehen, Francesca?«, insistierte er in seiner gedehnten Sprechweise.
»Ich stelle mir vor, es muss ein ebensolches Rauscherlebnis sein, wie wenn Sie
den Mann Ihrer Träume leidenschaftlich küssen?« Seine dunklen Brauen zuckten
in die Höhe. Francesca war klar, dass er sich auf die Leidenschaft bezog, die
sie für seinen Bruder empfand – schließlich hatte er sie erst vor wenigen
Tagen, auf dem Ball der Channings, sozusagen in seinen Armen ertappt.
Hart brachte sie mit voller Absicht in Verlegenheit. Er spielte
bewusst auf die Tatsache an, dass sie und Bragg einander liebten – ein Gefühl,
das er für bloße Begierde hielt. Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige
versetzt, doch das hatte sie einmal getan und würde es niemals wieder
tun. »Das einzige intensive Gefühl, das ich dabei empfinde, ist Angst«,
versetzte sie scharf. »Angst, Hart, keinen Nervenkitzel – Angst.«
Er lachte. »Es fällt mir schwer, das zu glauben.« Dann wandte er sich
Lucy zu, die den Wortwechsel mit großen Augen verfolgt hatte. »Sie genießt die
Gefahr. Ich bin sicher, es dauert nicht mehr lange, bis sich das Ganze zu einer
Sucht auswächst – wenn es nicht bereits eine ist.«
»Calder, legst du es darauf an, Miss Cahill zu brüskieren?«,
mischte sich Grace schließlich mit ruhigem Tadel ein.
Hart wandte sich seiner Stiefmutter zu. »Wenn mein Bruder sie
nicht dazu bringen kann, sich zurückzuhalten, dann sollte jemand anders es
tun.«
Francesca verteidigte Hart unwillkürlich, obwohl sie ärgerlich auf
ihn war. »Er hat mich nicht brüskiert, Mrs Bragg. Ich bin überzeugt, dass er nicht die Absicht hatte,
ungehobelt zu sein. Er kann nun einmal nicht anders, es ist ein
Charakterfehler.« Sie lächelte Hart zu. »Und machen Sie Bragg – Rick – nicht
für mein Handeln verantwortlich. Das ist ganz und gar ungerecht.«
Hart seufzte mit einem Augenaufschlag zur Decke. »Natürlich
verteidigen Sie ihn.«
Bragg trat zwischen die beiden und sagte, an Hart gewandt: »Dies
war eine ausgesprochen nette Zusammenkunft, ehe du eingetroffen bist, Calder.
Es ist immer das Gleiche – kaum dass du einen Raum betrittst, bemühst du dich
nach Kräften, Unfrieden zu stiften.«
»Ach, dann bin ich wohl schuld daran, wenn du zulässt, dass sie
sich in polizeiliche Ermittlungsarbeit einmischt?«, versetzte Hart
kopfschüttelnd.
»Es reicht«, schritt Rathe energisch ein. »Ihr seid schließlich
nicht allein. Ihr zwei habt euch wirklich kein bisschen verändert
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