Brenda Joyce
aber nicht während seiner
Dienstzeit und erst recht nicht in einer Runde von Schurken und Gaunern.
Craddock saß schräg zur Tür, sodass er nur ein wenig den Kopf hätte wenden
müssen, um sie und Joel zu bemerken.
Er studierte sein Blatt. Die Narbe auf seiner rechten Wange trat
in dieser Beleuchtung grell hervor.
Und in seinem Gürtel steckte eine Pistole.
Die Detektivin und ihr Gehilfe wichen zurück und blickten sich
atemlos aus großen Augen an. Francesca wünschte insgeheim, sie hätte Craddocks
Waffe nicht gesehen.
»Und jetzt?«, flüsterte Joel.
»Jetzt warten wir draußen darauf, dass Bragg und seine Familie
kommen, und vielleicht auch die Polizei«, erwiderte Francesca, der die
Vorstellung zu warten zutiefst zuwider war. »Oder wir versuchen, Chrissy zu
finden und zu retten«, fügte sie aus einem Impuls heraus hinzu.
Joel grinste sie an.
Francesca erwiderte ein grimmiges Lächeln, dann warf sie einen
Blick zu der schmalen Stiege, die nach oben führte. »Wir haben Arbeit zu
erledigen. Komm.«
»Frauen«, sagte Joel. »Da sind Huren, da oben«, fügte er unnötigerweise
hinzu.
»Gehen wir«, entschied Francesca.
Er folgte ihr. Sie erklommen hastig die Stufen, die bei jedem
Schritt knarrten. Mehrmals blickten sich die beiden ängstlich um, doch keiner
der Pokerspieler kam in die Schankstube gestürmt, um sie zur Rede zu stellen.
Oben angekommen, blieben sie einen Moment lang stehen und lauschten. Aus einem
verschlossenen Zimmer am Ende des Flurs drangen ein paar leise Seufzer und das
Stöhnen eines Mannes, doch abgesehen davon hörten sie nichts.
Dann ertönte plötzlich Kindergelächter.
Francesca und Joel wechselten einen Blick –
das Geräusch war hinter der ersten Tür zu ihrer Rechten erklungen. Gott sei
Dank!
Francesca schlich zur Tür und legte ein Ohr an das raue Holz.
Drinnen hörte sie weiteres Gelächter und den leisen Gesang einer Frau. Dann
sagte die Frauenstimme fröhlich: »Was bist du doch für ein hübsches kleines
Mädchen.«
Francesca zog ihre Pistole aus der Tasche. In
diesem Moment hätte sie lieber eine Waffe von normaler Größe gehabt, die bedrohlicher
wirkte und weniger an ein Spielzeug erinnerte. Die Pistole in der linken Hand
zu halten kam überhaupt nicht infrage, und so steckte sie die Waffe in ihre
Manteltasche, um den Verband von ihrer rechten Hand abzureißen. Die Handfläche
war dunkelrosa verfärbt und ein wenig wund, ähnlich wie die Finger, doch das
spielte jetzt keine Rolle. Francesca zog die Pistole erneut hervor und stellte
erleichtert fest, dass sie sie mit der rechten Hand fest und sicher halten
konnte. Dann nickte sie Joel zu und mimte die Geste des Anklopfen. Anschließend
drückte sie sich flach gegen die Wand. Joel erwiderte das Nicken grinsend. Er
genoss seine Rolle sichtlich.
Zweimal klopfte er leise an die Tür.
Die Frau verstummte. Chrissys Lachen erstarb.
Joel klopfte noch einmal.
Chrissy sagte: »Tür.«
Francesca hörte Bettfedern quietschen. Dann ächzte ein Dielenbrett.
Sie spürte, wie sich der Schweiß unter ihrem Mieder sammelte, während sie deutlich wahrnahm, wie die Frau das Zimmer
durchquerte und vor der Tür zögernd stehen blieb.
»Joe?«
Joel warf einen Blick zu Francesca, die das Gesicht verzog. Dann fragte
er: »Haben Sie mal 'nen Dollar?«
Die Tür wurde heftig aufgerissen, und auf der Schwelle erschien
eine Frau in einem kurzen Morgenmantel, mit lockigem blondem Haar und
verhärmtem Gesicht. »Verschwinde, Junge«, setzte sie energisch an.
Francesca drückte der Frau ihre Pistole an den Kopf. »Keine Bewegung,
sonst schieße ich!«
Die Frau erstarrte. »Tun Sie mir nichts! Ich hab nichts gemacht!
Ich hab nur Befehle ausgeführt! Craddock ist der, hinter dem Sie her sind!«
»Joel, schnapp dir Chrissy«, wies Francesca ihren Gehilfen an. Das
Ganze ging viel zu leicht, wurde ihr plötzlich bewusst – und ebenso deutlich
war ihr bewusst, dass sich Craddock nur ein Stockwerk tiefer befand, viel zu
nahe, als dass sie sich in Sicherheit hätten wiegen können.
Joel lief rasch ins Zimmer und packte das kleine Mädchen. Wenigstens
ging es Chrissy gut. »Und jetzt sehen wir zu, dass wir hier herauskommen«,
entschied Francesca. Sie hastete den Gang entlang, Joel auf den Fersen, doch
dann sah sie Craddock und hielt inne.
Er kam die Treppe hoch.
Craddock erstarrte ebenfalls. Seine ungläubige Miene wirkte geradezu
komisch.
»Joel, in die andere Richtung!«, rief Francesca, den Blick noch
immer auf Craddock
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