Brenda Joyce
sie freundlich, während Francis ihr die
Haustür aufhielt. Zu allem Übel lag nichts Falsches in ihrem Gebaren –
tatsächlich schienen ihre grünen Augen sogar echtes Mitgefühl auszudrücken.
Wie Francesca sie hasste! Sie nickte, noch immer krampfhaft lächelnd,
als plötzlich Joel Kennedy in die Eingangshalle stürmte. Er stampfte kräftig
mit den Füßen auf, um seine Stiefel vom Schnee zu befreien. »Miss Cahill, ich
hab was rausgekriegt!«, rief er aufgeregt.
Leigh Anne warf einen überraschten Blick auf den kleinen Jungen,
der einen zerlumpten Mantel, eine geflickte Hose und Lederhandschuhe trug.
»Guten Tag«, verabschiedete Francesca ihre
Besucherin hastig. Ihr Unbehagen war so stark, dass sie sich geradezu
körperlich krank fühlte. Sie enthob Francis seiner Aufgabe und schloss selbst
die Tür, kaum dass Leigh Anne hinausgetreten war.
Dann wandte sie sich um, atmete, am ganzen Körper zitternd, einmal
tief durch und fragte: »Was denn, Joel?«
Er zerrte sie an der Hand von dem Diener fort.
»Ich hab 'nen Typen aufgetrieben, der die Belohnung haben wollte«, teilte er
ihr in vernehmlichem Flüsterton mit. »Craddock spielt seit zwei Stunden Karten
in einem Saloon an der Thirty-second. Wir müssen dahin!«
»Was?«, stieß sie atemlos hervor. Das grässliche Drama ihres
eigenen Lebens war augenblicklich vergessen. Francescas Gedanken überschlugen
sich. » Wir haben Craddock gefunden?«
Ja, aber wer weiß, wie lange er noch da bleibt – wo ist der Polyp,
den Sie so gern haben?«, fragte Joel und blickte sich um, als erwarte er, dass
Bragg sich hier in der Eingangshalle der Cahill'schen Villa aus dem Nichts
materialisierte.
Wo war Bragg? Sie hatte natürlich keine Ahnung. »Bis wir in der
Innenstadt sind, dauert es mindestens zwanzig Minuten«, überschlug sie rasch.
»Wenn wir vorher noch bei Hart vorbeifahren, vergehen weitere zehn.«
»Oder noch mehr!«, warf Joel ungeduldig ein.
»Wir dürfen Craddocks Spur nicht verlieren«, entschied sie,
hastete zu einem Tischchen und schrieb rasch eine Nachricht an Bragg. »Francis!
Lassen Sie dies hier zu Calder Hart an der Fifth Avenue Nummer 973 bringen, und
zwar augenblicklich! Es geht um Leben und Tod!«, rief sie, riss einen Schrank
auf und zerrte selbst ihren Mantel heraus. Joel, lauf nach oben und hole meine
Tasche – du weißt schon, welche!«, wies sie ihren Gehilfen mit vielsagendem
Blick an. Höchste Aufregung ergriff von ihr Besitz. Sie hatten Craddock
aufgespürt!
»Die mit ...?«
»Ja, genau die«, bestätigte sie, wohl wissend, dass er ihre
Pistole meinte.
Joel rannte los.
»Rufen Sie Jenson«, wies Francesca inzwischen den Diener an. Für
Mietdroschken blieb jetzt keine Zeit. Sie würden die Cahill'sche Kutsche
benutzen müssen.
Während sich Francis beeilte, ihre Anweisungen auszuführen, lief
Francesca unruhig auf und ab und versuchte sich auszurechnen, wann sie den
Saloon frühestens erreichen konnten und wie viel später Bragg dort eintreffen
würde. Ihr brach der Schweiß aus. Mit viel Glück würde er nur zwanzig Minuten
nach ihr ankommen, doch aller Wahrscheinlichkeit würde es länger dauern –
womöglich hatte er sich noch gar nicht wieder in Harts Villa eingefunden. Aber
das spielte jetzt keine Rolle. Sie würden sich an Craddock heften wie die Höhe
an einen Hund, bis er sie zu Chrissy Savage führte.
Francesca betete, die Kleine möge noch am Leben sein und
unverletzt.
Joel stürmte die Treppe wieder hinunter und kam schlitternd auf
dem Marmorboden der Eingangshalle zum Stehen. »Ich hab sie!«, verkündete er
triumphierend.
Francesca nahm ihre Tasche entgegen. »Gehen
wir.«
An der Tür zum Saloon, zu dem Joel Francesca geführt hatte, hing ein
Schild: GESCHLOSSEN. Allerdings war die Tür nicht abgeschlossen, und nachdem
Francesca und ihr Gehilfe vorsichtig einen Blick hineingeworfen hatten, um
sich zu vergewissern, dass dort niemand zu sehen war – nicht einmal der
Besitzer –, schlüpften sie hinein und durchquerten die Schankstube, an deren
anderem Ende sich eine weitere Tür befand. Sie war nur angelehnt. Als
Francesca um die Ecke spähte, erblickte sie einen einzigen Tisch, an dem sechs
Männer saßen, allesamt Zigarren rauchend, Whiskey trinkend und schweigend in
eine Runde Stud-Poker vertieft. Einer der
sechs Männer trug die blaue Serge-Uniform eines Polizisten – ein Anblick, bei
dem Francesca übel wurde. Natürlich war nichts dagegen einzuwenden, wenn sich
ein Officer an einem Kartenspiel beteiligte,
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