Brenda Joyce
Ehe Sie gehen, müsste ich kurz mit Ihnen sprechen.«
Bartolla schrak auf, als hätte sie Francescas Anwesenheit ganz
vergessen. »Oh! Ich hoffe doch, es geht nicht um Sarahs Atelier?«
»Doch, eben darum geht es.«
»Erzählen Sie mir nicht, Sie glauben immer noch, dass der Anschlag
eigentlich mir galt und jemand ganz gezielt ausgerechnet mein Porträt zerstört
hat?«, rief die Gräfin mit unverhohlener Belustigung aus.
»Die Möglichkeit besteht«, versetzte Francesca. »Und wir dürfen
sie nicht außer Acht lassen. Schließlich war einzig und allein dieses Bild in
Fetzen geschnitten – in wirklich boshafter Weise, wie ich betonen möchte.«
»Meine
Liebe, das kümmert mich wenig.« Die Gräfin lachte.
»Bartolla«, mischte sich Evan ein, »womöglich sollte es Ihnen doch
zu denken geben – der Vandale könnte es tatsächlich auf Sie abgesehen haben und nicht auf Sarah. Das halte ich sogar für
wesentlich wahrscheinlicher. Ich kann gern warten, während Sie mit Francesca
sprechen.«
»Aber ich habe eine Verabredung«, entgegnete Bartolla ungeduldig.
»Ich muss in die Innenstadt. Evan, mein Lieber, machen Sie sich meinetwegen nur
keine Sorgen!«
»Aber
selbstverständlich mache ich mir Sorgen«, widersprach er mit heiserer Stimme.
»Mir graut bei der Vorstellung, Ihnen könnte etwas zustoßen ... oder Sarah«,
fügte er hastig hinzu. Rourke gab einen verächtlichen Laut von sich.
Evan
musterte ihn kalt.
»Ich verabschiede mich«, verkündete Rourke. »Und da ich in
nördlicher Richtung fahre, nämlich zu Hart, werde ich der Gräfin nicht
anbieten, sie mitzunehmen. Es war mir ein Vergnügen, Madam.«
»Bitte sagen Sie Bartolla zu mir – so nennen mich alle meine
Freunde.«
Er ergriff wiederum ihre Hand. »Ich bin
überzeugt, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen werden, Bartolla.« Dann
lächelte er Francesca zu. »Viel Glück, Miss Cahill. Und sorgen Sie dafür,
dass sich mein leichtsinniger Bruder nicht in Schwierigkeiten stürzt.« Er
kicherte, dann nickte er Evan zu und schritt hinaus.
Als er gegangen war, wandte sich Francesca
erneut Bartolla zu. »Bitte gewähren Sie mir einen Moment«, drängte sie. Nachdem
sich die Gräfin so überaus wenig entgegenkommend gebärdete, versprach es wohl
ein recht kompliziertes Gespräch zu werden.
»Ich bin bereits spät dran«, wehrte Bartolla
ab. Ihr Ton war zwar freundlich, aber sie ließ dennoch unmissverständlich
durchblicken, dass sie auf ihrer abweisenden Haltung zu beharren gedachte.
»Nur einen kurzen Moment«, drängte Francesca, und um gleich auf
den Punkt zu kommen, platzte sie mit der Frage heraus: »Haben Sie Feinde?«
Bartolla schien belustigt. »Wer hätte keine?«
»Ernsthaft, Bartolla. Bitte, nehmen Sie diese
Angelegenheit ernst.«
»Ja, Francesca, selbstverständlich habe ich
Feinde.«
»Wer ist es? Ich brauche Namen«, forschte Francesca weiter. Die
Gräfin seufzte. »Wollen Sie die Wahrheit hören?«
Sie nickte.
»Bevor ich den Grafen heiratete – ich war
damals erst sechzehn –, kam ich hierher in die Stadt. Ich habe einem Dutzend
junger Frauen die Freier abspenstig gemacht.« Bartolla schüttelte den Kopf.
»Ich habe viel geflirtet als junges Mädchen. Und was die Sache noch schlimmer
macht: Ich habe so vielen jungen Männern das Herz gebrochen, dass ich sie gar
nicht alle zählen kann.«
»Könnte eine
dieser Frauen ...«
»Ich weiß es nicht«, fiel Bartolla ihr ins Wort. »Aber wenn Sie
wissen wollen, wer mich wirklich hasst – nun, die Familie des Grafen.«
Francesca dachte an die Frauen, die möglicherweise noch in der
Stadt lebten und einen Groll gegen Bartolla hegen könnten, weil die Gräfin ihre
Heiratspläne durchkreuzt hatte. Und was war mit all den jungen Männern, die sie
nach einem kurzen Hirt wieder verlassen hatte? »Aber die Angehörigen des
Grafen befinden sich doch alle in Übersee, oder nicht?«
»Seine Söhne leben in Paris und Rom. Aber seine Tochter wohnt mit
ihren drei verzogenen Gören hier in New York.« Bartolla lächelte – kein
angenehmes Lächeln.
»Wie heißt
sie?«, rief Francesca aufgeregt aus.
»Jane Van
Arke«, antwortete Bartolla.
Kapitel 10
SONNTAG,
16. FEBRUAR 1902 – 11 UHR
Francesca wollte gerade gehen, als Bragg an einem Dienstboten
vorbei ins Haus trat. Sie sah ihn und hielt inne, wobei sein Erscheinen sie
nicht wirklich überraschte.
»Was gibt es?«, fragte der Commissioner, da er ihre Unsicherheit
bemerkte.
Sie gab sich einen Ruck und lief ihm entgegen. »Bartolla
Weitere Kostenlose Bücher