Brenda Joyce
Aufmerksamkeit und Bewunderung zu
erregen. Dabei ist sie keineswegs jung und unberührt. Vielleicht wurde eine
andere Frau ihretwegen sitzen gelassen und wollte sich rächen. Oder vielleicht
hat einer ihrer ehemaligen Liebhaber bemerkt, dass sie sich wieder in der Stadt
aufhält? Es gibt zahlreiche Möglichkeiten.«
»Allerdings«, stimmte Francesca zu. »Ich werde wohl noch einmal
mit Bartolla sprechen müssen, auch wenn sie nicht geneigt scheint, bei der
Aufklärung dieses Falles behilflich zu sein. Und natürlich möchte ich auch mit
Sarah reden.« Francesca stand auf. »Evan? Hast du dir deinen Entschluss, die
Firma zu verlassen und aus dem Haus auszuziehen, noch einmal durch den Kopf
gehen lassen?«, fragte sie hoffnungsvoll.
Sein Ausdruck verhärtete sich. »Ich habe letzte Nacht nicht geschlafen.
Meine Sachen sind größtenteils gepackt, die Taschen stehen in der Eingangshalle
bereit. Wenn ich hier fertig bin, hole ich sie ab und nehme mir ein Zimmer im
Fifth Avenue Hotel«, verkündete er. »Kurzum: Nein, ich habe es mir nicht anders
überlegt.«
So furchtbar das auch war, Francesca war
dennoch zugleich stolz auf ihren Bruder, denn was Andrew da tat, war grundverkehrt.
Andererseits widerstrebte es ihr zutiefst, schlecht von ihrem Vater zu denken,
der ihr von allen Menschen auf der Welt am meisten bedeutete ... oder bedeutet
hatte, bis sie Bragg kennen lernte. Sie seufzte resigniert. Gleich darauf hörte
man jemanden die Treppe herunterkommen.
Die beiden Geschwister drehten sich
gleichzeitig um und sahen Rourke in die Halle treten. Er wirkte ein wenig zerzaust,
als hätte er eine schlaflose Nacht gehabt. Seine Krawatte hing schief, sein
Jackett stand offen, und er hatte Bartstoppeln im Gesicht. In der Hand trug er
eine schäbige, abgewetzte Arzttasche, von der Francesca vermutete, dass sie aus
zweiter Hand stammte. Trotz alledem war er ein außerordentlich attraktiver
Mann. Obwohl er Bragg ungemein ähnlich sah, erinnerte er sie in gewisser Weise
auch an Hart. Ohne die Arzttasche hätte man Rourke genauso gut für einen
Glücksspieler halten können, der nach einer langen, gewinnträchtigen Nacht von
einem Flussdampfer heimkehrte.
Evan beugte sich zu seiner Schwester hinüber und flüsterte ihr
eindringlich ins Ohr: »Der ist noch zu haben, und er ist vier Jahre
älter als du – passt das nicht perfekt?«
Statt einer Antwort trat
Francesca ihm kräftig auf den Fuß.
Evan jaulte auf.
Rourke schmunzelte. »Es freut mich zu sehen, dass unsere Familie
nicht die einzige ist, deren Mitglieder sich wie Hund und Katze benehmen.
Guten Morgen.«
Francesca lächelte flüchtig, ehe sie sich erkundigte: »Wie geht es
Sarah?«
»Besser«, erwiderte er. »Ihr Fieber ist inzwischen unter achtunddreißig
gesunken. Sie schläft jetzt ruhig.«
»Das freut
mich zu hören!«, sagte Francesca.
»Nun ja, es könnte schlimmer sein. Gestern Abend war ihr Fieber
beunruhigend hoch. Vielleicht hat Finney Recht, und es ist nur eine Erkältung.
Zum Glück ist die Lunge nicht betroffen. Ich habe Miss Channing geweckt, um sie
noch einmal abzuhören. Die Lunge ist frei.«
»Hatten Sie etwa eine Lungenentzündung befürchtet?«, fragte
Francesca in höchster Besorgnis.
»Als sie über Rückenschmerzen klagte, war das mein erster Gedanke.
Auf jeden Fall braucht sie Ruhe. Und sie sollte vorerst nicht mit Problemen
belastet werden, gleich welcher Art.« Er runzelte nachdenklich die Stirn.
»Was
ist?«, wollte Francesca wissen.
»Miss Channing hat einen großen blauen Fleck
am Oberarm. Ihre Mutter hat keine Ahnung, wie es dazu gekommen sein könnte.«
Francesca blinzelte. Am Vorabend hatte Sarah ein Kleid mit langen Ärmeln
getragen. »Es muss wohl ein Unfall gewesen sein.«
Rourkes bernsteinfarbene Augen ruhten auf ihr. In der Iris waren
goldene Flecken zu erkennen. »Für mich sieht es eher so aus, als hätte jemand
sie grob am Arm gepackt.«
Francesca stutzte. »Nun, dafür gibt es sicher eine einfache Erklärung.
Haben Sie Sarah selbst danach gefragt?«
»Dazu hatte ich noch keine Gelegenheit – ich wollte sie nicht zu
sehr strapazieren, da sie noch sehr schläfrig war.« An Evan gewandt, fuhr er
fort: »Sie können ruhig hinaufgehen, Cahill – vielleicht möchten Sie sich zu
Ihrer Verlobten ans Bett setzen und ihre Hand halten.«
»Wenn sie schläft, will ich sie lieber nicht stören«, gab Evan zurück.
Rourke starrte ihn mit einem Ausdruck an, der unmöglich zu deuten
war, doch Francesca meinte darin einen
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