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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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näher.
    Mit der ausgestreckten Linken das Gezweig zerteilend, die Rechte am Knauf des Schwertes, so zwängten sich Gero und Thietmar durchs Unterholz. Zuweilen, wenn die Sicht frei war, machten sie einander lautlos auf die Birke aufmerksam. An deren einer Seite, etwa zwei Fuß über der Erde, ragte eine Schulter hervor, die sich bisher allerdings nicht ein einziges Mal bewegt hatte. Bestand sie aus Fleisch und Knochen oder lediglich aus ein paar geschickt aufgestellten und mit einem Wams verkleideten Ästen? Nur noch wenige Schritte, dann würde man es wissen.
    An Thietmars angespannter Miene erkannte Gero, daß dieser nach wie vor überzeugt war, geradewegs auf eine Falle zuzulaufen. Was ihn, Gero, betraf, so hatte er eine solche Möglichkeit niemals ernstlich in Betracht gezogen, auch nicht, als die Nachricht vom Tod des Schwarzen eingetroffen war. Christians Leute hatten den Mann beim Stehlen eines Pferdes beobachtet, ihn verfolgt, in einer morastigen Senke umzingelt und, da er sich wie ein Besessener gewehrt hatte, schließlich erschlagen. Für Christian und Thietmar gab es keinen Zweifel, daß er Konrad vor seiner Flucht von seinem Auftrag erzählt hatte, woraus sie schlossen, daß der Bursche gekommen sei, um sich zu rächen.
    Für Gero hingegen, dem diese Deutung recht einfältig erschien, stand fest, daß Konrad dem Schwarzen entwischt war und daß dieser deshalb den Kopf verloren und zu fliehen versucht hatte. Konrad, der vermutlich befürchtete, man werde ihm den sonderbaren Überfall nicht so ohne weiteres glauben, war hierauf bis zum Morgen im Wald umhergeirrt und wollte sich nun, bevor er heimkehrte, erst einmal vergewissern, was ihm blühte.
    Im Grunde seines Herzens war Gero zufrieden, daß der Junge noch lebte, und sogar entschlossen, ihn wieder bei sich aufzunehmen. Denn was er an ihm besaß – diese Nacht hatte es ihm erneut gezeigt. Die unverhofft großen Verluste bei der Erstürmung des Hofes, welche die Räuber so erbost hatten, daß sie, bevor sie losritten, beinahe rebelliert hätten, der Umstand, daß einem der Häuptlinge die Flucht geglückt war (und zwar, wie zum Hohn, mit einer Strickleiter!) – derlei, da war sich der Graf sicher, wäre unter Konrads Führung nicht geschehen. Seine Umsicht und unbedingte Zuverlässigkeit waren Tugenden, die mit seinem aufreizenden Eigensinn gewiß teuer, indes wohl nicht zu teuer bezahlt waren.
    Der Entschluß, seiner befremdlichen Aufforderung Folge zu leisten, hatte Gero freilich einige Überwindung gekostet. Doch solange ihm nicht bekannt war, was Konrad wußte oder auch bloß ahnte, konnte es ihm nur recht sein, wenn ihre Begegnung ohne Zeugen stattfand. Für den Fall aber, daß er tatsächlich etwas im Schilde führte und sie allein mit ihm nicht fertig wurden, hielt sich nicht weit von hier Graf Christian mit mehreren Bewaffneten bereit.
    Er war noch ungefähr drei Klafter von der Birke entfernt, als ihn ein Geräusch erstarren ließ. Es erinnerte ihn an den Schmerzenslaut eines Tieres, dem man hinterrücks einen Tritt versetzt hatte: ein von fassungslosem Jammer kündender Ton, einem Stöhnen ähnlicher als einem Schrei. Sich bückend, spähte er zwischen Zweigen hindurch zu dem Baum und gewahrte, daß die Schulter verschwunden war. Er tauschte einen Blick mit Thietmar, der, in den Knien federnd, blitzschnell nach allen Seiten sicherte. Dann gingen sie auf die Birke zu.
    Sie bemerkten ihn erst, als sie vor ihm standen. Er lag inmitten von Preiselbeerbüschen, die linke Hand um einen Strauch gekrallt, die blutiggebissenen Lippen eigentümlich geschürzt. Sein Wams war vom Kragen bis zum Gürtel aufgeschlitzt. In der nackten Brust steckte ein Messer, dessen Griff sich im Wechsel der schwächer werdenden Atemzüge hob und senkte. Die gespreizten Beine streckten sich langsam, wobei die Füße Erde und welke Blätter vor sich herschoben. Die Augen waren einen Spalt weit geöffnet und schauten, ohne zu blinzeln, ins Leere. Das tränenüberströmte, von haftendem Laub gefleckte Gesicht wirkte völlig ruhig; lediglich ein leichtes Zittern des Unterkiefers verriet noch etwas von den erlittenen Qualen.
    Als er sich nicht mehr regte, wälzte Thietmar den Körper mit Hilfe seines Schwertes herum. »Sieh mal!« rief er plötzlich aus, hockte sich nieder und wies auf eine Ausbuchtung neben dem Rückgrat.
    Gero beugte sich vor und betrachtete die Stelle. Dann befühlte er sie. Kein Zweifel, was da durch das Leder spießte, war die Spitze des

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