Brennaburg
abstoßend oder gar empörend man die Sitten des anderen fand.
Mochten die im Hinterland, die in diesem wie die in jenem, einander Schaden zufügen, wann immer ihnen danach zumute war; an der Grenze achtete man darauf, daß nichts die gegenseitige Freundschaft trübte. Sogar wenn ein Krieg ausbrach, tat man, als ginge er einen nichts an, trieb weiterhin Handel, half sich mit Saatgut oder Vieh aus. Drohte dem einen Gefahr, warnte ihn der andere, was indes selten notwendig war. Denn hier wie da lag den Großen nicht daran, daß die eigenen Bauern oder Fischer aus Furcht vor Vergeltung aus dem Grenzgebiet flohen, weswegen sie die Verhältnisse dort stillschweigend respektierten. Ein schmaler Streifen, kaum breiter als ein halbes Dutzend Meilen, wurde von ihnen bei Überfällen zumeist geschont.
Diese Übereinkunft, das gegenüberliegende Flußufer nicht als Feindesland zu betrachten, schien nun, nachdem sie so vielen Wirren widerstanden hatte, bedroht zu sein. Aber warum? Was mochte die Slawen bewogen haben, einen Pakt zu lösen, der auch für sie bisher nur von Nutzen gewesen war?
Während man noch rätselte, brannten in einigen sächsischen Dörfern Speicher und Heuschober nieder, wurden Herden zersprengt, Vieh getötet und Reusen zerstört. Gelang es, der Täter habhaft zu werden, stellte man verwundert fest, daß es durchweg junge Slawen, fast noch Knaben waren, die man ebenso wie ihre Familien bestens kannte. Durch sie erfuhr man etwas, von dem man inzwischen schon gehört hatte, ohne es freilich für mehr als ein Gerücht zu halten: daß nämlich eine große Zahl slawischer Häuptlinge, die der Grenzgraf Gero auf seine Burg geladen hatte, bei ihm zu Tode gekommen sei. Er habe sie ermordet, behaupteten die Burschen, und nicht bloß er müsse dafür büßen, jeder seines Stammes. Tod den Sachsen werde allerorten gefordert, Tod und Verderben über dies heimtückische und blutgierige Volk! Da die Erwachsenen bislang zögerten, dem Aufruf Folge zu leisten, hätten sie sich entschlossen, auf eigene Faust loszuziehen.
Man bleute sie durch und ließ sie laufen. Die Bewohner eines Dorfes nahe der Stelle, an der die Bode in die Saale fließt, wollten indes Genaueres wissen. Sie benachrichtigten die Eltern, daß sie ihre Söhne abholen sollten, und als jene eintrafen, fragte man sie, wie sie und die Ihren es künftig mit den sächsischen Nachbarn zu halten gedächten. Habe man einander nicht stets bewiesen, daß man zuerst Grenzländer und danach Sachse oder Slawe sei? Habe man nicht auch in den schlimmsten Zeiten allen Verlockungen und Drohungen zum Trotz immer einen kühlen Kopf bewahrt? Und habe man das jemals bereuen müssen? Einerlei, was geschehen sei, es könne doch wohl nicht Grund genug sein, Beziehungen aufs Spiel zu setzen, die für beide Seiten ersprießlich seien und aus denen schon so viele Menschen vor ihnen Gewinn gezogen hätten. Man verlange kein Lösegeld für die Gefangenen und sei bereit, ihrer jugendlichen Unvernunft zu verzeihen, hoffe allerdings, daß dieses Entgegenkommen eine angemessene Antwort erfahren werde.
Die Slawen hoben seufzend die Schultern. Nein, natürlich wünsche man keinen Streit, die Burschen hätten in der Tat ohne ihr Wissen gehandelt, und soweit es von den hier Anwesenden abhänge, könne man versprechen, daß sich solche Anschläge nicht wieder ereignen würden. Mit der guten Nachbarschaft aber sei es vorbei, und niemand vermöge vorherzusagen, wann sich dieser Zustand ändern werde. Beauftragte jener, die fernab der Grenze lebten, hätten sie bereits vor Wochen bedrängt, allen Handel und Wandel mit den Sachsen unverzüglich einzustellen. Gehorchten sie nicht, so habe man ihnen gedroht, werde man ihre Häuser einäschern, und überhaupt sei jeder, der künftig mit einem Sachsen auch nur ein Wort wechsele, als Verräter zu betrachten. Seit jeher wären sie wegen der Vergünstigungen, die sie als Grenzbewohner genossen, von den Ihren scheel angesehen worden; nun habe deren Neid einen fürchterlichen Vorwand gefunden.
Allein daß sie hierhergekommen seien, um ihre Söhne auszulösen, könne sie das Leben kosten, denn überall, so sei zu hören, wären die Menschen auf das höchste erregt und schrieen nach Rache. Wie die Dinge lägen, bliebe ihnen daher lediglich, einander zu geloben, sich niemals Schaden zuzufügen und, während man im Herzen die alte Freundschaft pflegte, abzuwarten, bis sich die Leidenschaften wieder beruhigt hätten.
Bedrückt pflichteten ihnen die
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