Brennaburg
schloß die Lider. Erst jetzt merkte er, daß seine Hände brannten, als seien sie verbrüht worden. In den Schläfen pochte es, der Mund füllte sich unablässig mit Speichel.
Eine Zeitlang lauschte er den Geräuschen, die vom Hof her zu vernehmen waren. Das Krähen eines Hahnes, die Rufe der Mägde, das Klappern eines leeren Holzeimers, der gegen die Steinfassung des Brunnens stieß, nichts an diesen Lauten deutete daraufhin, daß der Tag, der da angebrochen war, kein gewöhnlicher Tag war.
Einmal stürmte ein Hund durchs Gebüsch, schnüffelte an seinem Fuß und rannte wieder davon. Ein anderes Mal hatte Konrad den Eindruck, daß sich jemand anschlich. Er spannte die Muskeln und erhob sich ruckartig, worauf es im Unterholz lebendig wurde. Irgendwer machte sich aus dem Staub, doch ob es ein Mensch oder ein Tier war, konnte man nicht erkennen …
Als er die Augen wieder aufschlug, blickte er in einen wolkenverhangenen Himmel, aus dem vereinzelte Regentropfen herabfielen. Für einen winzigen Moment fühlte er sich fast glücklich. Er stutzte, und dann entsann er sich, daß er soeben noch geträumt hatte, das Gelage und alles, was während der Nacht geschehen war, seien lediglich ein Traum gewesen. Er wälzte sich zur Seite und erbrach sich.
Nach Atem ringend, rollte er sich wieder auf den Rücken. Was tat er eigentlich hier? Ach ja, er wartete auf den Grafen. Doch wozu? Was hatte ihn bewogen, dies zu Otfried zu sagen? Sonderbar, er vermochte sich nicht zu erinnern … Hatte er sich an Gero rächen wollen? Wohl kaum, das hätte sich ihm gewiß eingeprägt. Auch jetzt verspürte er keinerlei Haß auf ihn. Oder hatte er vorgehabt, Rechenschaft von ihm zu fordern? Ihn zu fragen: Warum hast du mich hintergangen und wie einen Verräter behandelt, Herr Graf?
Doch nein, die Antwort darauf kannte er ja bereits. Ich hätte dich hintergangen? würde sie lauten. Aber das ist unmöglich! Du bist ein Werkzeug, nichts als ein Werkzeug, und ein Werkzeug kann man weder verraten, noch betrügen. Man benutzt es, solange man es benötigt, und man wirft es weg, sobald man es nicht mehr benötigt. Nur dies und nichts weiter habe ich mit dir getan. Daß du in dem Wahn lebtest, etwas anderes zu sein, daran bin ich schuldlos. Es war dein verfluchter Hochmut, der dich dies glauben ließ; ich habe damit nichts zu schaffen. Indem ich dir Nahrung gab und einen Platz in meinem Haus, dich schützte und niemals unverdient schlug, verhielt ich mich nur so, wie sich jeder vernünftige Mann zu seinem Eigentum verhalten sollte. Wenn ich mein Roß, das ich wie mein Kind umsorgte, töte, sobald es alt und schwach ist – würdest du dies Verrat nennen? Wenn ich mein Schwert, daß ich stets pflegte und das dennoch in meinem Dienst schartig wurde, gegen ein neues eintausche – wer könnte mir das verargen? … Du seiest, wendest du ein, weder alt und schwach, noch schartig. Ja, das ist wahr, doch richtet sich diese Wahrheit, wie du gleich erkennen wirst, nicht gegen mich. In der Tat, du bist nicht schlechthin unbrauchbar, du bist etwas, das viel gefährlicher ist. Du bist wie ein Schwert in der Schlacht, das erst nach langem Sträuben einwilligt, die Scheide zu verlassen, wie ein Pferd, das das Ziel des Rittes nach eigenem Ermessen bestimmen möchte. Du bist, wie diese Vergleiche beweisen, etwas ganz und gar Widernatürliches. Und weil es sich so verhält, wäre es töricht von mir, dich einfach wegzuwerfen. Um mich zu schützen, muß ich dich zerbrechen …
Er fuhr zusammen. Die Schritte, die sich näherten, hätte er aus Dutzenden herausgehört. Sie klangen so laut und schwer, als verursache sie ein großer und beleibter Mann, aber das vermochte ihn nicht zu täuschen. Seltsam nur, daß die Richtung, aus der sie kamen, nicht auszumachen war; es schien, als ob von überall her Fußpaare im Anmarsch seien. Und doch waren es unverkennbar die Schritte des Grafen, der die Angewohnheit hatte, zuerst mit den Haken aufzutreten und sich offenkundig nicht einmal auf dem weichen Waldboden verleugnen konnte. In wenigen Augenblicken würde er vor ihm stehen und sagen: Da bin ich, Konrad, warum hast du mich gerufen? Dann galt es, ihm zu antworten.
Nur was?
Er richtete sich auf und lehnte sich an den Stamm der Birke. Überleg es dir, befahl er sich, es ist höchste Zeit. Du weißt es ja, hast es bloß vergessen. Denk an alles, was in dieser Nacht geschehen ist, und es wird dir wieder einfallen. Doch beeile dich, denn die Schritte kommen immer
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