Brennaburg
Hand hätte tragen können.
Einer der Männer riß sich das Tuch vom Gesicht, und unter der rußigen Stirn kam Otfrieds bärtiges Antlitz zum Vorschein. Die Nasenflügel blähend, starrte er Konrad aus geröteten Augen an. »Da bist du ja endlich«, sagte er heiser. »Wo zum Teufel hast du dich denn die Nacht über herumgetrieben?«
Konrad antwortete nicht. Sein Blick glitt über die ausgeglühten Körper, die, noch vor wenigen Stunden lebendige Menschen, nun wie verdorrte Äste gestapelt wurden.
»Sind alle tot?« brachte er nach einer Weile hervor.
»Alle?« Otfried kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht, wir sind noch beim Zählen.«
»Wozu zählt ihr sie?«
»Wozu!« wiederholte Otfried. In seiner Miene zuckte es. »Man möchte schließlich –«
»Und die Häuptlinge?« unterbrach ihn Konrad.
»Die sind auch hinüber. Bis auf einen.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist entwischt … Es glückte ihm, sich zu retten«, verbesserte sich Otfried und fügte hinzu: »Die Mägde wollen gehört haben, daß es Slawen gewesen waren. Die Spuren führen zur Saale, also scheint etwas dran zu sein.«
»Warst du dort?«
»Wo?«
»An der Saale.«
Otfried preßte die Lippen aufeinander. »Nein«, erwiderte er herausfordernd. »Jedenfalls sind sie nach Osten geritten.«
»Wo ist der Graf?«
»Er verfolgt sie.«
Die Männer waren auf sie aufmerksam geworden. Stumm drängten sie heran, entblößten ihre Gesichter, berührten Konrad am Arm und musterten ihn forschend.
»Macht weiter!« schrie Otfried sie an. »Habt ihr vergessen, was der Graf befohlen hat? Wenn er wieder zurück ist, hat hier Ordnung zu herrschen.«
Niemand rührte sich vom Fleck. Alle schauten fragend zu Konrad, und erst, nachdem er ihnen zugenickt hatte, gingen sie. Für einen Moment wurde ihm warm ums Herz.
»Was soll mit den Leichen geschehen?« erkundigte er sich, nachdem sich die Männer entfernt hatten.
»Die der Häuptlinge überlassen wir ihren Sippen«, erklärte Otfried. »Wir fahren sie an die Saale und übergeben sie sorbischen Fischern. Mögen die herausfinden, wer zu welchem Stamm gehört, man wird sie dafür sicherlich belohnen. Was die dort betrifft«, er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter, »so werden wir sie in einem der Sümpfe zwischen Bode und Wipper versenken.«
»Weshalb solche Umstände? Warum sie nicht einfach dort begraben, wo sie gestorben sind?«
Otfried runzelte die schmutzverkrustete Stirn. »Ich war zuerst ebenfalls dieser Ansicht«, äußerte er, »denn wem könnte dieses Gerümpel wohl noch gefährlich werden? Verbrannte kehren nicht wieder, das weiß schließlich jeder.«
Er machte eine Pause und sah Konrad an, als wollte er ihm Gelegenheit geben, ihn zu berichtigen.
»Aber der Graf ist dagegen«, fuhr er fort. »So viele Tote in unserer Nähe, meint er, das könnte zu Gerede führen. Ein Sumpf sei besser. Im Frühjahr spült sie das Hochwasser raus, das heißt das, was dann von ihnen noch übrig ist. Sie schwimmen in die Saale, von der Saale in die Elbe und von dort ins Meer. Dann sind wir sie endgültig los. Bis dahin mögen sie in Frieden ruhen.«
Bei seinen letzten Worten hatte er zu lächeln angefangen. Der Gedanke, so mächtige Komplizen wie die beiden Flüsse und das Meer zu haben, bereitete ihm offenkundig Genugtuung.
»Und jetzt zu dir«, sprach er aufgeräumt weiter. »Wo bist du so lange gewesen? Ist dir etwas zugestoßen? Verflucht seltsam war mir zumute, als ich dich so mutterseelenallein losreiten sah, glaub mir.«
Konrad antwortete ihm nicht. Er schaute zu den Toten und danach über die Brandstelle. »Ich habe noch eine Frage«, sagte er endlich. »Welche der Männer waren ebenfalls eingeweiht?« Den Knauf seines Schwertes berührend fügte er hinzu: »Ich rate dir, mich nicht zu belügen.«
Otfried riß entgeistert die Augen auf und preßte, als gelte es, sich vor einem Hieb oder Tritt zu schützen, beide Arme gegen den Leib. »Keiner von ihnen, ich schwör's dir«, krächzte er und schüttelte einige Male heftig den Kopf.
Konrad nickte flüchtig. »Siehst du die große Birke?« Er wies zum Waldrand. »Richte dem Grafen aus, daß ich unter ihr auf ihn warte.« Er drehte sich um und stapfte, die heiße Asche furchend, dorthin zurück, von woher er gekommen war.
Bei der Stute angelangt, band er sie los, und nachdem er ihr einen Klaps verabreicht hatte, trabte sie mit schleifendem Zügel ins Freie. Er ging zu der nur wenige Schritte entfernten Birke, legte sich ins Moos und
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