Brennaburg
Die slawischen Fürsten, beteuerte er, seien das Opfer von Nachbarstämmen geworden, die mit ihrer und vor allem seiner Ermordung das Signal zu einem Aufruhr hätten geben wollen. Da er aber dank des Eingreifens der Vorsehung gerettet worden und der Plan damit gescheitert sei, würde man nun gewiß auch von der Erhebung Abstand nehmen.
Tatsächlich glaubte er anfangs, daß die Berichte übertrieben und sich die Wogen bald glätten würden. Denn daß der geflüchtete Gaufürst seine List durchschaut hatte und daraufhin versuchen würde, die Slawen aufzuwiegeln, kam für ihn nicht unerwartet. Daß das diesem Mann, der für seine Behauptungen keinerlei Beweise hatte, jedoch gelingen würde – zumal binnen weniger Wochen, und nicht nur bei seinen Landsleuten, sondern sogar bei Stämmen, die als verfeindet galten –, dies versetzte den Grafen in die größte Bestürzung. Seine Tat hatte die Barbaren verwirren und entzweien sollen; jetzt schien es, als habe sie das Gegenteil bewirkt.
Als sich die Anzeichen dafür mehrten, begann er deshalb, ohne weiteren Verzug alle notwendigen Vorkehrungen gegen einen Angriff zu treffen. Den Besatzungen der Burgen befahl er erhöhte Bereitschaft, den Dorfältesten, die Bauern zur Wachsamkeit zu ermuntern und vom Greis bis zum Kind möglichst viele Menschen damit zu betrauen, unablässig das feindliche Ufer zu beobachten.
Er verdoppelte die Anzahl seiner Männer, indem er von einigen Befestigungen des Hinterlandes Bewaffnete abzog und sie vorübergehend seiner Gefolgschaft zuteilte. Ebenso verfuhr er bei anderen grenznahen Grundherren. Zwischen ihnen sowie allen Burgen entlang der unteren Saale und mittleren Elbe wurde über Gewährsleute in den Dörfern ein Kurierdienst eingerichtet, der zu jeder Tageszeit einsatzbereit war. Auch der Burg Meißen schickte er Krieger zu Hilfe, denn Meißen, als der östlichste Vorposten des Reiches, durfte um keinen Preis fallen.
Eine knappe Woche vor Simon und Judas meldeten die Grafen Thietmar und Christian, daß die Verteidigungsmaßnahmen in ihren Amtsbezirken gleichfalls abgeschlossen seien. Was man tun konnte, war getan, jetzt blieb ihm nur noch die Hoffnung auf einen zeitigen und harten Winter. Verhielten sich die Slawen bis dahin ruhig, würde er beim ersten Frost in Eilmärschen und mit jedem Mann, der imstande war, eine Waffe zu tragen, gegen die Brandenburg ziehen. Bis dahin freilich galt es, täglich mit dem Schlimmsten zu rechnen …
Dieser zermürbende Zustand fiel in jene wundervollen Wochen vor der großen Starre, in denen der Bauer endlich etwas Muße hat, sich des Geschaffenen zu erfreuen. Zwar werden die Abende immer länger, doch haben die Strahlen der Sonne noch nicht alle Kraft verloren. Noch läßt einen kein eisiger Hauch erschauern, sobald man vor die Tür tritt, noch darf man, beißt einem der Qualm des Herdfeuers in die Augen, für kurze Zeit die Fensterläden öffnen. Das satte Braun der umgebrochenen Äcker, die bis zur Decke gefüllten Speicher, der Anblick des stetig rundlicher werdenden Viehs, alles ist dazu angetan, einem das Herz zu wärmen.
Dem Grafen hingegen schien es, als wolle ihn der Herbst verhöhnen. Laß sie weiterhin zaudern, o Herr, flehte er, bevor er einschlief; wachte er aber morgens auf, eilte er sofort hinunter, um nachzusehen, ob ein Bote eingetroffen war oder sich irgendwo über dem Wald Rauch ballte. Während er zuweilen das Empfinden hatte, allmählich zwischen Hoffen und Bangen zermahlen zu werden, verstrich kaum merklich ein Tag nach dem anderen.
… Martini kam, jenes für die Hausgänse so betrübliche Fest, an dem sie alljährlich dafür büßen müssen, daß einstmals eine ihrer Vorfahren durch ihr Geschnatter das Versteck des hl. Martin verraten hatte, in welches der übermäßig bescheidene Mann vor der ihm angetragenen Bischofswürde geflüchtet war. Am Vorabend hatte man den meisten von ihnen den Garaus gemacht, jetzt bereiteten die Frauen sie zu. Verstört zischend watschelte Abo, der Zuchtganter, über den Hof und mußte sich bei seiner aussichtslosen Suche nach den plötzlich verschwundenen Gefährtinnen von den Mägden verspotten lassen. »Gräm dich nicht, du geiler Satan«, riefen sie ihm zu, »es sind ja genug übrig … Tritt die Spatzen, wenn dir danach ist, aber höre endlich auf zu schimpfen. Oder möchtest du auch in die Pfanne wandern?«
Bis der Braten aufgetischt werden konnte, hatte man noch alle Hände voll zu tun. Seit dem frühen Morgen rollten Karren, beladen
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