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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Knabe lachte nicht. Er begann plötzlich zu beben, schloß die Augen, neigte den Kopf nach vorn. Otto drehte sich vorsichtig um und erblickte Siegfried, der sich ihnen in einem merkwürdig schleichenden Gang näherte. Mit Blut beschmiert, den Blick getrübt und den Unterkiefer vorgeschoben, war er kaum wiederzuerkennen.
    In Otto erwachte ein trostloses Gefühl. Es war noch schwach und weit weg, doch spürte er klar, daß es ihn bald ausfüllen würde. »Das ist mein Gefangener«, sagte er rasch und hoffnungslos, »du darfst ihm nichts tun.«
    Siegfried nickte ein paarmal und sagte heiser: »Worauf wartest du? Erledige den Hund. Los, töte ihn.« Er reichte ihm das Messer.
    Otto rückte etwas ab und stellte sich vor den Jungen. »Das ist mein Gefangener«, wiederholte er. Er wußte genau, daß es nicht darum ging, wem der Bursche gehörte, doch solange er darauf bestand, daß dies sein Gefangener war, würde Siegfried vielleicht nicht das aussprechen, wovor er sich so fürchtete.
    Der Graf machte eine Bewegung, als wollte er ihn beiseite stoßen, besann sich jedoch und zischte: »Was willst du bloß mit ihm? Lösegeld wirst du für so einen nicht kriegen. Einen Häuptlingssohn hätten sie nicht als Späher zurückgelassen. Außerdem können wir jetzt keinen Gefangenen gebrauchen.«
    Otto fühlte seinen Herzschlag. Da war es wieder. Lösegeld, nicht gebrauchen. Was hinderte ihn nur daran, es ebenso zu sehen? Siegfried war ein tapferer und geachteter Mann, engster Vertrauter seines Vaters, jeder schätzte ihn; er dagegen, obzwar Sohn des Königs, lediglich ein Jüngling ohne Erfahrungen und Verdienste. Niemandem, der seinen Verstand noch beisammen hatte, konnte es zweifelhaft sein, wessen Meinung die richtige war. An seiner Hand, die den Schwertknauf umklammerte, spürte er den Atem des Knaben, der still vor sich hin weinte. Nicht gebrauchen, kein Lösegeld, das stimmte sicherlich. Dieser warme Atem und dieses hilflose Weinen redete aber eine Sprache, die mit solchen Erwägungen nichts zu tun hatte. Warum verstand sie keiner außer ihm? Und warum war ausgerechnet er dazu verurteilt, sie zu verstehen?
    Plötzlich stand jener Mann neben ihnen, Gero hieß er wohl. Eigentümlich sah er aus, das war Otto schon vorhin aufgefallen: viel kleiner als Siegfried, mager, mit glänzenden dunklen Augen in einem unverhältnismäßig großen, birnenförmigen Schädel – häßlich eigentlich und gar nicht wie ein Krieger. Zugleich strahlte er eine merkwürdige Ruhe aus, die für ihn einnahm und sein schwächliches Äußeres vergessen ließ.
    Siegfried schien ähnlich zu empfinden, sowie er ihn bemerkte, wich die Wut auf seinem Gesicht einem Ausdruck der Erleichterung. Er faßte ihn am Arm, neigte sich herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Geros Miene blieb unbewegt, er gab nicht einmal zu erkennen, ob er mit dem, was ihm gesagt wurde, einverstanden war oder nicht. Als Siegfried fertig war, löste er sich wortlos von ihm, kam auf Otto zu und sagte: »Bitte, junger Herr, schenke mir einen Augenblick Gehör. Du denkst edel, aber hast du dir überlegt, daß uns der Gegner mit dem Jungen sehen und dann versucht sein könnte, ihn zu befreien? Deine Großmut würde möglicherweise vielen ausgezeichneten Männern das Leben kosten. Ist dir ihr Leben weniger wert als das eines Fremden?«
    Wie unter einem Zwang schüttelte Otto den Kopf. Diese sanfte Stimme, so wohltuend verständnisvoll klang sie, wie die eines Priesters. Indem er den Knaben verteidigte, brachte er andere in Gefahr, die gewiß nicht schlechter waren als der Gefangene. Das hatte er tatsächlich übersehen. Er schaute zu seinem Schützling, wandte sich aber sogleich wieder ab. »Er hat sich nicht einmal gewehrt«, entgegnete er.
    Gero schwieg, seine glänzenden Augen gaben nicht preis, wie er diese Antwort aufnahm. »Er ist alt genug, um den Kundschafter zu spielen«, erwiderte er ruhig. »Und Kundschafter verdienen keine Schonung. Doch das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist allein, daß wir das Vorhaben des Gegners zunichte machen. Alles, was uns daran hindern könnte, müssen wir beseitigen. Bedenke auch, wie es der König aufnehmen wird, wenn er erfährt, daß du deine Milde an einen Feind gewendet und sie damit zugleich den eigenen Leuten entzogen hast.«
    Otto errötete. Niemals würde ihm das der Vater verzeihen.
    Abermals fiel sein Blick auf den Jungen. Um dessen Mund herum bemerkte er jetzt einen grämlichen, lauernden Zug, der ihn älter erscheinen ließ. Oder war

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