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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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geringfügige Veränderung schuldlos seiner herrlichen Fähigkeiten beraubt worden ist.«
    »Schuldlos?« wandte Otto ein. »Soweit es das Tier betrifft, teile ich deine Ansicht. Doch du, ein Mensch, solltest Gott nicht unterstellen, daß er dich mutwillig gestraft hat.«
    Walter machte ein zerknirschtes Gesicht. In seiner Stimme jedoch schwang Hohn mit, als er sagte: »Du hast recht, junger Herr. Wenngleich ich mich zuweilen frage, ob das Maß meiner Schuld um so vieles größer ist als das derjenigen, die sich an meinem Mißgeschick schamlos bereichert haben. Doch lassen wir das … Wie du mich hier siehst, bin ich jedenfalls ein Mann ohne Besitz und mit schlechtem Recht. Gewiß, man schont mich: weil ich ein Krüppel bin und ehemals in dieser Gegend einiges Ansehen genoß. Verglichen mit den unfrei Geborenen werde ich geradezu bevorzugt behandelt. Indessen sind das Almosen, auf die ich keinerlei Anspruch habe. Zudem fällt es mir schwer, mich damit abzufinden, von der Gnade anderer abhängig zu sein. Denn dummerweise sind mir mein Stolz und meine Wünsche geblieben. Dabei wollte ich, sie wären zusammen mit meinem Bein verfault.«
    Er hielt inne, griff nach einem der Krüge und trank ihn hastig leer.
    »Freilich«, fuhr er fort, »wer nie bessere Tage gesehen hat oder wem dergleichen in früher Jugend widerfährt, der mag sich daran gewöhnen. Mir ist das unmöglich. Nicht aus Übermut oder Bosheit, sondern weil ich«, er schlug sich mit der geballten Faust auf die Brust, »der geblieben bin, der ich ein halbes Menschenalter lang war. Ein anderer kann ich nicht mehr werden. Verstehst du nun, warum ich mich nicht immer so verhalte, wie man es von einem Knecht erwartet?«
    »Du wirst es lernen müssen, armer Mann«, sagte Otto leise. »Sonst findest du niemals Frieden.«
    Walter schaute zum Himmel empor. »Lernen«, wiederholte er und wiegte dabei den Kopf. »Warum nicht? Ich lerne für mein Leben gern. Dies freilich nie und nimmer. Wozu etwas lernen, von dem man weiß, daß es ungerecht und schändlich ist?«
    »Was ist ungerecht und schändlich?«
    »Knechtschaft«, sagte Walter hart. »Oder dünkt sie dich etwa eine Auszeichnung? Unrecht ist es, sie Menschen aufzuerlegen, die kein Verbrechen begangen haben. Und schändlich ist es demzufolge, sie hinzunehmen.«
    Otto hob die Brauen. »Was redest du da? Daß du so fühlst, will ich dir glauben, schließlich empfindet sogar der Kranke sein Schicksal als ungerecht. Doch behaupte nicht, du wüßtest es. Knechtschaft gab es schon immer, weil Gott es so gefügt hat.«
    Walter lächelte befriedigt, so, als habe ihm Otto beigepflichtet. »Ich ahnte, daß du das sagen würdest, junger Herr. Aber du irrst … Ich kenne einen klugen Mann, er lebt als Einsiedler im Wald, und er weiß«, seine Augen leuchteten, »daß dies nicht der Wahrheit entspricht. Wenn du es wünschst, mache ich dich mit seiner Auffassung bekannt.«
    Otto zögerte. Er wünschte keineswegs, eine Auffassung kennenzulernen, von der bereits jetzt feststand, daß sie unsinnig war. Doch da der andere anscheinend ganz versessen darauf war, sie ihm vorzutragen, brachte er es nicht fertig, ihn zu enttäuschen. »Ich höre dir zu«, sagte er, zog das rechte Bein an und legte das Kinn aufs Knie.
    Walters Miene belebte sich. »Einige Leute sind der Ansicht, daß Leibeigenschaft von Kain herrühre, der seinen Bruder erschlug«, begann er. »Was hältst du davon?«
    »Das wäre gut möglich«, antwortete Otto höflich.
    »Das ist es gerade nicht! Es ist deshalb unmöglich, weil, du erinnerst dich, Kains Geschlecht vertilgt wurde, als die Welt im Wasser unterging.«
    »Tatsächlich? Nein, ich entsinne mich nicht.«
    »Aber junger Herr!« Walter richtete sich auf und starrte ihn entgeistert an. »Alles, was einen lebendigen Odem hatte auf dem Trockenen, das starb. Allein Noah blieb übrig und was mit ihm auf dem Kasten war. So ist es uns überliefert.«
    »Das weiß ich wohl!« Otto überlegte. »Folglich hat Kain noch vor Noah gelebt. Siehst du, das bringe ich ständig durcheinander. Aber jetzt fällt es mir wieder ein. Sprich weiter.«
    »Andere meinen, sie käme von Ham, Noahs Sohn«, sagte Walter. »Laß uns untersuchen, was es damit auf sich hat. Noah segnete Sem und Japhet, Hams Brüder, und er bestimmte ihnen diesen zum Knecht. Richtig?«
    Otto, der voraussah, daß ihm erneut eine Falle gestellt werden sollte, nickte mißmutig, und wirklich triumphierte Walter sogleich: »Ja, das ist richtig, doch besagt es gar

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