Brennaburg
nichts. Denn wie du weißt, lebten die drei Brüder getrennt in ihren jeweiligen Ländern, so daß schwerlich einer des anderen Knecht sein konnte.«
Er lachte schallend.
»Dann gibt es welche, die führen Leibeigenschaft auf Ismael zurück. Darüber muß man freilich nicht viele Worte verlieren. Zwar nennt die Heilige Schrift Ismael den Sohn einer Magd, indes erwähnt sie auch, daß er später zum Stammvater eines großen Volkes –«
Otto sprang auf. »Verzeih, aber wozu erzählst du mir das eigentlich?« stieß er gereizt hervor. Als er sah, daß Walters leidenschaftliches Gesicht aschfahl wurde, setzte er sich jedoch sofort wieder und beeilte sich, hinzuzufügen: »Mein Wissen, du hast es ja bemerkt, ist zu lückenhaft, als daß ich imstande wäre, deinen Gedanken zu folgen. Immerhin habe ich seit meiner Kindheit Umgang mit bedeutenden Männern, welche, das darfst du mir getrost glauben, die Heilige Schrift mindestens genausogut kennen wie du oder dieser Einsiedler. Und ich hörte niemals von ihnen, daß es Gottes Gebot zuwiderliefe, jemandem das Joch der Knechtschaft aufzuerlegen. Sollten sie alle irren?«
»Irren vielleicht nicht«, sagte Walter mit einem vieldeutigen Lächeln. Er nahm das Messer, schabte einige Male auf der Haut herum und spießte es danach in die Erde. »Wozu ich dir das erzählt habe, wünschst du zu wissen?«
Er blickte Otto fest in die Augen.
»Ist das so schwer zu erraten? Du bist noch jung, und du hast ein mitfühlendes Herz. Das ist fast ein Wunder, wenn man bedenkt, daß diese Eigenschaft unter deinesgleichen nur wenig gilt. Und auch sonst ist die Welt schließlich voll von Menschen, die sich ihren Begierden überlassen. Eines Tages wirst du den Platz deines Vaters einnehmen. Nenne es daher nicht dreist oder anmaßend, daß es mich lockte, dich in deiner angeborenen Milde zu bestärken.«
Otto lachte hölzern. Abermals stritten Entsetzen und heimliche Genugtuung in ihm, und schaudernd spürte er, daß er nahe daran war, sich der guten Meinung des anderen auszuliefern. »Warum hast du das nicht sofort gesagt?« erwiderte er mit dem ganzen Hohn, dessen er fähig war. »Eines Tages werde ich König sein und alle Knechte freilassen. Und dich, versteht sich, als ersten … Ich nehme an, du begreifst«, sprach er grimmig weiter. »Darum höre gefälligst auf, mich mit deinem seltsamen Lob zu behelligen. Ich bin kein Narr, und niemand wird mich überreden können, einer zu werden.«
Walters Züge erstarrten zu einer Maske. »Wer möchte wohl ein Narr sein, junger Herr«, sagte er mühsam. »Doch leider ist es mit dem Wunsch allein meist nicht getan. Das dürfte auch in deinem Fall nicht anders sein. So müßtest du dir zum Beispiel endlich abgewöhnen, an gewissen Vorkommnissen Anstoß zu nehmen – wie etwa dem Töten lästiger Gefangener. Denn nur ein Narr vermag sich einzubilden, daß man Menschen die Freiheit rauben und trotzdem saubere Hände behalten kann.«
Otto spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Mit erstickter Stimme sagte er: »Ach, das steckt also dahinter! Jetzt kommst du dir natürlich sehr überlegen vor, was?«
Er wollte aufstehen und gehen, merkte aber noch rechtzeitig, daß er zu beidem außerstande war. Benommen lehnte er sich zurück.
Walter arbeitete schweigend weiter. Nach einer Weile sah Otto, wie sich der Staub vor ihnen narbte. In immer dichterer Folge schlugen Tropfen auf die Erde und hinterließen kirschgroße Trichter. Er wischte sich über die Stirn und sagte töricht: »Es regnet.«
»So ist es, junger Herr«, stimmte Walter ausdruckslos zu.
Fast eine Woche lang regnete es ununterbrochen. Der Regen spülte die Gerüche aus der Luft und das Zwitschern der Vögel. Es war, als hätte es nie einen Frühling gegeben. Der Hof verwandelte sich in einen Sumpf. Um ihn begehbar zu machen, legten die Leute an bestimmten Stellen Zweige aus, darüber kamen mehrere Schichten Flechtwerk und schließlich Bretter. Als das Wasser in die Keller floß, mußten auch noch Gräben gezogen werden.
Nachdem diese Arbeit getan war, erhob sich eines Abends ein heftiger Wind, der noch vor Mitternacht wieder aufhörte. Am Morgen darauf war der Himmel blau, und die Sonne schien. Mit gelösten Mienen stakten die Menschen durch den Schlamm. Jeder spürte, daß es mit der schlechten Jahreszeit unwiderruflich vorbei war. Warme Tage brachen an, einer schöner als der andere. Plötzlich, als hätten sie auf das Ende des Unwetters gelauert, öffneten sich die
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