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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Blütenknospen der Apfelbäume. Tagsüber schimmerten sie rosa, doch sobald es dunkelte, strahlten sie in einem reinen Weiß. Die Äste der Fichten trugen hellgrüne Spitzen, zart wie Salatblättchen. Die Wiesen hatten bereits vor dem Regen ihre Farben aufgefrischt. Wo immer man stand, war das Summen zahlloser Bienen zu vernehmen, die sich in dieser Pracht vergraben hatten. Die Vögel hingegen, von der Sorge um ihre Jungen erschöpft, waren stiller geworden. Lediglich die Ansein flöteten an den klaren Abenden so hingebungsvoll wie zuvor.
    Otto lag nahe der Pfalz unter einem Nußbaum im Gras. Einen Steinwurf entfernt von ihm saßen die vier Bewaffneten, die ihn bei seinen Ausflügen zu begleiten hatten. Soweit er zum Tor hinaustrat, hefteten sie sich an seine Fersen. Auf freiem Feld vergrößerten sie den Abstand, doch niemals derart, daß er ihnen entwischen konnte. Früher hatte ihm ihre Anwesenheit nichts ausgemacht, jetzt fiel sie ihm lästig, aber mit dem Vogt war in diesem Punkt nicht zu handeln. Außerdem brachte es Otto nicht über sich, ihm zu erklären, warum ihn die Männer auf einmal störten.
    Die durch die mehrtägige Pause erzwungene Ruhe war seinem Körper überraschend gut bekommen. Das Bein tat nur noch geringfügig weh, er fühlte sich kräftig und unternehmungslustig. An die Vergangenheit dachte er kaum, die Zukunft war ihm in einem Maße gleichgültig geworden, daß er sich manchmal darüber wunderte. Da ihn niemand mit Forderungen bedrängte, überließ er sich ungehindert seinen Empfindungen, und die reichten selten über den folgenden Tag hinaus. Nach dem Gespräch mit Walter war er entschlossen gewesen, Milorada wegen ihres vermeintlichen Verrates Vorwürfe zu machen. Während der Regentage hatte er genügend Zeit gehabt, sich auf die Auseinandersetzung vorzubereiten. Jedes Wort seiner Anklage wußte er auswendig, sogar ihre Entschuldigungen kannte er bereits. Als er das Vergnügen an diesem Spiel verlor, gestand er sich endlich ein, daß er ihr, wenn überhaupt, allenfalls deshalb böse war, weil sie sich, wie er argwöhnte, ihm entzog. Sie und ihr Bruder wohnten in einem der steinernen Gebäude auf dem Berg, und von dort führte nur ein Weg hinunter, der in den Hof mündete. Daß er sie so lange nicht zu Gesicht bekam, konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen …
    Aber auch diese Stimmung verflog, und zurück blieb nichts als Sehnsucht. Je länger er ihr nachhing, desto bescheidener wurden seine Wünsche. Mittlerweile beschränkten sie sich darauf, das Gesicht des Mädchens einmal mit den Händen zu umfassen. Sobald er sich dieser Vorstellung hingab, befiel ihn ein solcher Schmerz, daß er meinte, er habe nie in seinem Leben wirklich gelitten.
    Da er sich beim Warten auf Milorada nicht Walters Blicken aussetzen wollte, hatte er nach einer Stelle gesucht, von der aus er, ohne selbst gesehen zu werden, den Verbindungsweg zum Hof beobachten konnte. Gestern war er auf den winzigen Hügel mit dem Nußbaum gestoßen und am Nachmittag dort unverhofft eingeschlafen. Als er erwachte, fand er sich von mehreren Berittenen umgeben, jeder mit einem toten Jungwolf am Sattel. Freudig erregt erkannte er in einem der Reiter Miloradas Bruder. Während sich Otto aufrichtete, hörte er seine Leute schreien. Offenbar hatten sie ebenfalls geschlafen und befürchteten nun das Schlimmste.
    Tugumirs Bewacher schauten verlegen drein, vor Verwirrung vergaßen sie sogar, Otto zu grüßen. Sie sagten etwas zu ihrem Gefangenen, worauf der unwillig knurrte. Er war nicht groß, wirkte aber stämmig und kraftvoll. Anders als bei seiner Schwester, lagen die Augen tief in den Höhlen. Für sein Alter sah er erstaunlich reif, beinahe schon wie ein Mann aus.
    Finster und herausfordernd ruhig blickte er zu Otto hinunter. Der wollte ihm ein paar freundliche Worte sagen, weil er sich bei der Vertilgung von Raubzeug nützlich gemacht hatte. Doch angesichts der feindseligen Kälte, mit der ihn der andere unentwegt betrachtete, konnte er sich dazu nicht aufraffen. So nickte er ihm lediglich zu. Tugumir indessen lächelte auf einmal hämisch und sagte, mehr zu sich als an jemanden gewandt: »Schläft, kleiner König.«
    Niemand außer Otto schien das gehört oder richtig verstanden zu haben. Er senkte bestürzt die Augen. Er hatte den Burschen bislang nur von weitem gesehen und noch nie mit ihm geredet. Trotzdem teilte sich ihm der Sinn dieser Bemerkung mit: Mich würdest du nicht im Schlaf überraschen, sollte sie gewiß

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