Brennaburg
Bewegung machte, fügte er hinzu: »Sei ohne Sorge, daß ich dich noch einmal kränken werde. Ich möchte dir nur etwas erklären. Danach magst du mich künftig meiden.«
Otto entgegnete: »Ich habe keine Angst vor deinen Unverschämtheiten. Und meiden werde ich dich, wann immer es mir gefällt. Was willst du mir erklären?«
Walter umkrampfte das Messer. Die Narbe in seinem Gesicht rötete sich, auf seiner Nasenwurzel erschienen Schweißtropfen. »Bevor ich beginne, erlaube mir, einen Irrtum zu berichtigen«, sagte er dumpf. »Du gabst mir letztens zu verstehen, ich hätte dich beleidigt, weil ich sicher wäre, daß du mich dafür nicht züchtigen würdest. Doch du täuschst dich. Aus Gründen, die du nicht kennen kannst, hat der Tod für mich längst seinen Schrecken verloren. Wie sollte ich mich da vor Schlägen fürchten? Wer sich an mir vergreift«, fuhr er schwer atmend fort, »täte übrigens gut daran, mich hinterher unverzüglich zu töten. Denn solange ich noch meine Hände habe, würde ich versuchen, ihn umzubringen. Jeder auf diesem Hof weiß das.«
Otto lachte befremdet. »War es das, was du mir mitteilen wolltest? Dann danke ich dir für die Warnung.« Er drehte sich um.
Walter hatte sich erhoben und faßte nach Ottos Arm. »Bitte, junger Herr, geh nicht!« rief er schrill. »Du hast mich mißverstanden. Ich wollte dir nicht drohen, sondern lediglich deinen Verdacht zerstreuen, daß Güte die Menschen zwangsläufig zu Bosheiten verleitet und nur Härte sie davon abhält. Es wäre bedauerlich, wenn du das glaubtest.« Flehend setzte er hinzu: »Hab doch ein wenig Geduld, dann wirst du begreifen. Du hast noch das ganze Leben vor dir, was kann es dir da ausmachen, einem Krüppel für ein paar Augenblicke zuzuhören.«
Betroffen sah Otto zu Boden. Er schüttelte Walters Hand ab, nahm jedoch neben ihm Platz. »Einverstanden«, sagte er kühl, »ich werde dir zuhören. Brichst du jedoch dein Versprechen, ist unsere Unterhaltung zu Ende.«
»So sei es«, stimmte ihm der andere zu. Er lächelte flüchtig und lehnte sich dabei zurück. »Ich beobachte dich schon seit einiger Zeit«, sprach er hierauf weiter, »du hast es vermutlich nicht bemerkt. Mir war natürlich von Anfang an bekannt, wer du bist, und das weckte ebenso natürlich meine Neugier. Ich spürte sofort, daß dich etwas bedrückt, und obwohl ich nicht wußte, was es ist, war ich mir doch bald sicher, daß es nicht allein mit deiner Verwundung zusammenhängt.«
»Wieso?« fragte Otto stirnrunzelnd.
Walter zuckte die Schultern. »Es war ein Gefühl. Jedenfalls schien es mir, daß du anders bist.«
»Anders? Als wer?«
»Als viele deines Standes.«
Eine Pause kam auf. Otto räusperte sich. »Wie meinst du das?« erkundigte er sich.
Walter warf ihm einen prüfenden Blick zu. Gedämpft sagte er: »Du bist nicht hochmütig, nicht, wenn du dich nicht dazu zwingst. Und du hast ein Gewissen. Obgleich du dich dessen schämst.«
Otto wurde der Mund trocken. Entsetzen, aber auch Dankbarkeit und eine tiefe, lange nicht mehr empfundene Freude ergriffen von ihm Besitz. Rede so weiter, sprach es in ihm, statt dessen sagte er jedoch mit gespieltem Erstaunen: »Worauf willst du hinaus? Selbstverständlich habe ich ein Gewissen, und ich schäme mich seiner nicht. Außerdem – was hat das alles mit deinem Benehmen zu schaffen?«
Walter schüttelte kaum merklich den Kopf. »Selbstverständlich ist das nicht, ich weiß es nur allzu genau«, entgegnete er und betastete seine Narbe. »Ich war ein freier Mann, und wie es sich gehört, habe ich die Unfreien verachtet«, fuhr er lebhaft fort. »Es ist schon seltsam, wie leichtfertig man andere Menschen wegen ihres Unglücks verachtet. Und warum? Weil man annimmt, sie allein seien daran schuld. Die Gesunden und Starken sind fest davon überzeugt, daß es ihr Verdienst ist, wenn sie gesund und stark sind, und von den Kranken und Schwachen glauben sie ebenso fest, daß diese ihre Mängel und Leiden selbst verursacht haben. Doch daß man so denkt und fühlt, begreift man erst, wenn sich das eigene Schicksal plötzlich wendet … Ich hatte einen großen Hof, war stolz, und alles, was ich anpackte, gelang mir. Daher meinte ich, ich sei zum Glück geboren wie die Vögel zum Fliegen. Aber dann kam der Krieg, ich verlor mein Bein, und das war der Anfang vom Ende. Mir ging es wie dem Mauersegler, der vom Sturm auf die Erde geschleudert wird und nun erfahren muß, daß er, der Schnelle und Gewandte, durch eine
Weitere Kostenlose Bücher