Brennaburg
bedeuten.
Inzwischen waren Ottos Leute herangeeilt. Einer von ihnen stellte sich neben Tugumir, befahl ihm, weiterzureiten und gab ihm dabei einen Klaps auf den Oberschenkel. Über Tugumirs düstere Miene huschte ein Ausdruck von Befriedigung. Er löste den Fuß aus dem Steigbügel, dann trat er dem Mann blitzschnell gegen den Leib, so daß er stöhnend zu Boden sackte. Seelenruhig ließ der Junge seinen Blick über die Gesichter der Umstehenden gleiten. Erst als sicher war, daß keiner Anstalten machte, einzugreifen, ritt er mit seinen Aufpassern weg.
»Dieser Hund kann sich alles erlauben«, sagte einer der Männer erbittert, während er dem Mißhandelten aufhalf. Vorwurfsvoll schauten die anderen zu Otto.
Der widersprach: »Nicht alles. Aber er hätte ihn nicht berühren dürfen. Das wißt ihr.«
»Es ist ja nicht nur das, Herr«, beharrte der Mann. »Ein Gefangener soll das sein? Wenn er das ist, möchte ich auch einer sein. Seine Bewacher fürchten ihn mehr als er sie. Dieser Teufel legt es darauf an, sie zur Verzweiflung zu bringen. Er reitet plötzlich einen steilen Berg hinunter, so daß keiner weiß, will er fliehen oder sich das Genick brechen. Neulich ist er mit einem Messer auf einen ausgewachsenen Wolf losgegangen. Er hat vor nichts Angst, wenigstens tut er so. Ihm ist ja klar, was die Leute erwartet, wenn ihm etwas zustößt. Sie können seinetwegen schon nicht mehr schlafen.«
Die Männer hatten sich noch eine Weile darüber aufgeregt, daß ihre Kameraden diesem Ungeheuer wehrlos ausgeliefert seien, doch Otto hatte nicht mehr hingehört. Er bezweifelte nicht, daß Tugumir seiner Schwester von dem Vorfall berichten würde. Damit wußte sie nun, wo er, Otto, sich aufhielt. Blieb sie weiterhin unsichtbar, mußte er annehmen, daß sie sich tatsächlich vor ihm versteckte. Oder krank war, setzte er in Gedanken sogleich hinzu …
Gegen Mittag trat sie zum Tor hinaus. Otto fühlte sein Herz. Alle Anzeichen sagten ihm, daß sie seinetwegen kam. Ihre Bewegungen wirkten gehemmt, jeder Schritt, das sah man selbst auf diese Entfernung, kostete sie Überwindung. Als der Weg eine Biegung machte, stockte sie, blickte zurück und lief dann in die Wiese hinein. Hin und wieder bückte sie sich nach einer Blume und schleuderte ihre Haarflut nach hinten, wenn sie sich aufrichtete.
Otto lachte ausgelassen. Länger als eine Woche hatte er nur für diesen Augenblick gelebt, nun war er da. Seltsam nur, daß er nicht bemerkt hatte, wie sie den Berg hinuntergekommen war … Er spreizte die Finger, formte ihr Gesicht, genoß es, daß die gewohnte Qual ausblieb. Mit einem Satz sprang er auf und begab sich zu den Männern. Die schauten ihm mißmutig entgegen, wohl noch verstimmt wegen des gestrigen Vorfalls.
»Ich muß euch jetzt eine Weile allein lassen«, sagte er. »Ihr bleibt hier. Bevor es dunkelt, bin ich wieder zurück, vielleicht auch schon früher.«
Die Männer drehten träge die Köpfe. Als sie das Mädchen entdeckten, wurden sie lebhaft und tauschten Blicke. Derjenige, der sich am Vortag beklagt hatte, sagte: »Verzeih, Herr, aber du weißt, daß wir in diesem Fall nicht dir gehorchen dürfen. Sollte dir ein Unglück widerfahren, wird man uns bestrafen.«
Otto wollte ihn beschwichtigen. Doch als bei dem Wort Unglück vielsagendes Gelächter aufkam, besann er sich anders. »Ich weiß«, sagte er leichthin, »und deshalb gebe ich euch keinen Befehl. Dir wiederum ist hoffentlich klar, daß ich euch das Leben zur Hölle machen kann. Und ich werde es tun, sofern sich nur einer von euch von der Stelle rührt. Verlaßt euch darauf.«
Sie schwiegen verblüfft, und er wandte sich zum Gehen. Glänzend abgefertigt, dachte er mit grimmiger Befriedigung. Das weiche Herrchen kann auch anders, merkt euch das. Wie gut er diesen drohenden Ton getroffen hatte, der ihm sonst so schwer fiel. Während er auf Milorada zulief, wurde ihm bewußt, daß ihn die Genugtuung über sein forsches Auftreten stärker bewegte als die bevorstehende Begegnung mit ihr. Aber das würde sich gewiß gleich ändern.
»Ich freue mich, daß du gekommen bist«, sagte er. Befremdet nahm er den müden Klang seiner Stimme wahr, Freude jedenfalls schwang da nicht mit. Dem Mädchen schien es ähnlich zu gehen, sie blickte unfroh und nestelte mit beiden Händen an ihrer silbernen Gürtelschnalle herum; ihre ganze Haltung atmete Unruhe und Abwehr.
»Hat dir dein Bruder gesagt, daß ich hier bin?«
»Ja.«
Er überlegte. »Warum hast du dich denn so
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