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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Pferd zu packen.
    Doch bereits in Merseburg, wo sie gewöhnlich erfuhren, an welchem Ort sie den Tribut in Empfang nehmen konnten, hatte ihre gute Laune einen Dämpfer erhalten. In den vergangenen Jahren hatte ihnen Graf Siegfried stets einen Lagerplatz nahe der Burg zugewiesen und sie dort üppig bewirtet. Diesmal bekamen sie den Grafen nicht einmal zu sehen. Im Wald sollten sie übernachten, wurde ihnen ausgerichtet, oder sich sofort nach Quedlinburg begeben, denn da wäre der ihnen zustehende Zins heuer abzuholen. Unterwegs sei es ihnen gestattet, zu jagen und zu fischen, Wasser dürften sie schöpfen, soviel sie wollten, Holz schlagen, wann immer sie welches benötigten, Hafer schenke ihnen der König. Vergriffen sie sich indes am Eigentum der Bauern, müßten sie die Folgen selber tragen, Geleitschutz nämlich könne man ihnen nicht stellen.
    Erbost hatten sie sich in Marsch gesetzt. Noch nie hatte man sie wegen des Tributes so weit nach Norden geschickt, noch nie bei ihrer Ankunft mit Pferdefutter abgespeist, und schon gar nicht hatte man ihnen jemals gedroht oder Auflagen erteilt. Sie derart zu brüskieren! – das würden die Ihren den Sachsen nicht durchgehen lassen. Offenbar hatte dieses Volk die lange Friedenszeit übermütig gemacht.
    Was zunächst bloß ein Verdacht war, wurde den Ungarn rasch zur Gewißheit. Anders als früher säumten auf einmal Menschen ihren Weg, und je tiefer sie ins Landesinnere kamen, desto zahlreicher fanden sich diese ein. Schweigend und ernst, so, wie man seltene Tiere betrachtet, sahen sie den Fremden in die Gesichter; zeigte man ihnen die Faust, traten sie zurück, liefen aber nicht davon. Die Reiter befiel Unbehagen, und statt wie bisher durch die Dörfer zu ziehen, wichen sie bald auf entlegenere Pfade aus. Doch auch dort entgingen sie den lästigen Zuschauern nicht. Die Leute standen auf Wiesen, an Flußübergängen, in Wäldern, Tälern und auf Hügeln, so daß den Ungarn mitunter schien, als sei ganz Sachsen auf den Beinen, um sie zu besichtigen.
    In Quedlinburg hieß es, der Vogt sei verreist, sie müßten sich daher gedulden. Fünf Tage ließ man sie warten. Während dieser Zeit umringten ständig Bauern das Lager, die verstohlen flüsternd ihre Wahrnehmungen austauschten. Diejenigen, denen die Sicht verdeckt war, kletterten auf Bäume, erklommen Dächer oder die Mauern der Burg. Andere hoben ihre Kinder empor, um von ihnen zu erfahren, was die Ankömmlinge taten. Am sechsten Tag erschien ein Bote, sprach von einem Irrtum und behauptete, nicht Quedlinburg, sondern Erfurt sei gemeint gewesen.
    Die Ungarn begriffen natürlich, daß man sie genarrt hatte. Aber da es ihnen nun erspart blieb, unter den wachsamen und nicht gerade freundlichen Blicken so vieler Neugieriger den Tribut zu verstauen und fortzuführen, hielt sich ihre Empörung in Grenzen. Zuversichtlich, daß sich die Sachsen mit diesem Streich begnügen würden, brachen sie nach Süden auf.
    Nicht lange, und ihnen begann zu dämmern, daß hier mehr als bloß Übermut im Spiel war. Die gaffenden Leute wurden immer aufdringlicher. Hatten sie die Reiter vorher lediglich angestarrt, lachten sie jetzt über diese, ahmten ihre Sprache nach und gaben mittels Gesten zu verstehen, wie komisch sie deren Haartracht und die kleinen Pferde fänden. Noch hüteten sich die meisten, den Fremden zu nahe zu kommen. Geschah dies doch einmal, schrie der Anführer der Abteilung ein Kommando. Dann rissen die Männer die Säbel aus den Scheiden, wirbelten die Waffen einige Male über ihren Köpfen herum und ließen dabei ihren kehligen Schlachtruf erschallen. Das verschaffte ihnen für eine Weile Respekt.
    Was wirklich hinter der Dreistigkeit der Sachsen steckte, enthüllte sich den Ungarn erst am Ende ihrer Reise. Auf einer Wiese kurz vor Erfurt versperrten ihnen plötzlich unzählige Menschen den Weg. Sie hatten Feuer angezündet sowie aus Zweigen Hütten errichtet und mußten, dem Gestank nach zu urteilen, schon seit Tagen hier lagern. Während die Reiter noch rätselten, was dies bedeuten mochte, entdeckten sie einen von Geschwüren entstellten Krüppel, der ihnen Zeichen machte, ihm zu folgen. Teile der Versammelten traten daraufhin auseinander, so geschwind, als hätten sie das vorher verabredet. Sie trugen Schwerter und Äxte und schoben die anderen Leute mit geübten Bewegungen zurück.
    Die Ungarn wechselten Blicke. Will man uns tatsächlich töten, besagten diese ungefähr, kann man das ebensogut auch später tun. Sterben

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