Brennaburg
nahe daran war, die Beherrschung zu verlieren. Als er bemerkte, daß seine Gemahlin Mathilde dem Kind folgen wollte, hielt er sie zurück, besann sich dann aber anders. Er bat sie lediglich, Otto mitzuteilen, daß er von nun an ebenfalls auf dem Berg wohnen und sich nach dem Mittagessen bei ihm zu einem Gespräch einfinden sollte.
Pünktlich war dieser zur Stelle, und abermals mußte der König an sich halten, diesmal allerdings, um seine Bestürzung zu verbergen. Bereits mit dem ersten Blick nahm er wahr, daß der Sohn noch elender aussah, als er ihn vor Monaten verlassen hatte. Die scharfen Züge in dem zwar gebräunten, aber eingefallenen Gesicht, eine gewisse Starre des Ausdrucks sowie der vorsichtige Gang ließen ihn frühzeitig gealtert erscheinen. Wie aus dem Grab gezogen, fuhr es Heinrich durch den Sinn. Für einen Augenblick befiel ihn so etwas wie Mitleid, eine Empfindung, über die er normalerweise rasch die Oberhand gewann, indem er sie einfach demjenigen anlastete, der sie hervorrief. Jetzt gelang es ihm jedoch nicht sofort, seine Betroffenheit in Zorn oder wenigstens Verachtung zu verwandeln. Es war zu offensichtlich, daß Otto ihn nicht rühren wollte, sondern seinen jammervollen Zustand um jeden Preis zu verbergen suchte. Heinrich bot ihm Platz an, dabei überlegte er, wie er den Sohn zu einer Klage verleiten konnte. Schließlich sagte er in einem Ton, den er für mitfühlend hielt: »Dir geht es nicht gut, mein Freund?«
Otto, der seit dem Betreten des Raumes an der Unterlippe nagte, hörte damit auf, erwiderte aber nichts.
»Du solltest ihnen nicht grollen, auch dem Mädchen nicht«, fuhr der König fort, nun absichtlich ein wenig herablassend. »Beide haben sich verhalten, wie es sich für Leute vornehmer Abkunft geziemt. Leider erlauben es mir die Verhältnisse nicht, den Mut unserer Gefangenen so zu würdigen, wie sie es verdienten. Achtung ist alles, was ein unterworfener Feind erwarten kann, die freilich ist ihnen gewiß.«
Bei dem Wort Mädchen war Otto zusammengezuckt. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich, die verschränkten Hände begannen zu zittern. Er räusperte sich, schwieg aber weiter. Erst nach einer Weile sagte er überraschend gefaßt: »Man sagte mir, daß ich heiraten soll.«
»So ist es«, bestätigte Heinrich kurz. »Eigentlich wollte ich, daß du es von mir erfährst, deshalb bat ich dich zu dieser Unterredung. Die Braut wirst du noch heute abend kennenlernen. Das heißt«, er zwang sich zu einem Lachen, »man hat uns sogar zwei geschickt. Es sind Schwestern. Du darfst also wählen.«
Otto blickte ihn an. »Ich werde nicht wählen«, sagte er mühsam.
»Das wirst du wohl müssen, denn mehrere Frauen sind bekanntlich nur Heiden gestattet. Oder soll ich es für dich tun? Dann beklage dich nicht, falls ich deinen Geschmack verfehle.«
In Ottos Miene rührte sich nichts. Heinrich musterte ihn besorgt. Daß sich der Junge nicht einmal durch Hohn herausfordern ließ, wollte ihm nicht gefallen. »So sind wir uns also einig?« fügte er hinzu.
Otto runzelte die Stirn. Bemüht, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken, fragte er: »Wäre es nicht dazu gekommen – hättest du mich dann auch zu dieser Heirat gezwungen?«
»Du meinst, wenn deine Hevellerin nicht das Heimweh gepackt hätte? Selbstverständlich! Oder hätte ich die beiden Engländerinnen wieder nach Hause schicken sollen? Es tut mir leid, aber mein Sohn hat sich bereits entschieden!« Er lachte abermals.
»Nehmen wir einmal an«, sagte Otto in das Lachen hinein, »du hättest dich nicht bereits festgelegt: Wäre es dann möglich gewesen …« Er brach ab, senkte den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Wäre was möglich gewesen?«
»Du weißt schon«, flüsterte Otto.
»Sprich es endlich aus!« schrie Heinrich. Und nachdem er sich wieder beruhigt hatte: »Nein, das wäre nicht möglich gewesen. Unter keinen Umständen.«
»Warum nicht? Sie hätte unseren Glauben annehmen können.«
Der König zuckte die Schultern. »Das kann sie auch jetzt noch, doch es würde nichts ändern. Wir sind keine Bauern, die nach dem erstbesten Rock haschen, der sie zufällig streift. Männer wie wir stellen sich Aufgaben, und zwar bei allem, was wir tun. Mit einer Heirat, das solltest du wissen, setzt man ein Zeichen. Seht, sagt man, so hoch veranschlage ich meinen Wert, und ich täusche mich wohl nicht, denn sonst hätte ich diese Frau nicht bekommen. In einer Verbindung mit der Tochter eines
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