Brennaburg
wir darum besser hier, denn so bleiben wir diesen Schuften wenigstens als tapfere Männer in Erinnerung. Nachdem sie sich auf diese Weise verständigt hatten, zogen sie blank und ritten ohne weiteres Zögern in die Gasse.
Der Wind trieb ihnen Häcksel ins Gesicht, die Radspuren unter ihnen füllten sich mit Jauche, der Gestank nahm zu. In der Mitte der Wiese stießen sie auf einen Hügel, der sich bei näherem Hinsehen als ein gewaltiger Misthaufen entpuppte. Der Krüppel hielt an. Er drehte sich um und zeigte mit seinem unbeschädigten Arm auf das Hindernis, wobei sich seine vom Aussatz zerfressenen Lippen öffneten und eine Art Gurgeln entließen. Gleich darauf war er in der Menge verschwunden.
Für einen Moment herrschte Totenstille. Dann brach ein Lärm los, der nicht von dieser Welt zu sein schien; ein wirrer Chor aus Johlen, Brüllen, Kläffen und Kreischen, schrill und wüst wie das Gelächter von Dämonen. Die Menschen grunzten, wieherten, miauten, trommelten auf Töpfe oder pfiffen durch die Finger. Sie rafften ihre Kittel hoch und wandten den Fremden das nackte Gesäß zu. Sie spuckten in die Luft, hieben einander auf die Schultern, bewarfen sich mit Abfällen und hüpften im Morast umher. Sie begossen sich mit Suppe, scharrten in der Erde, schlugen Purzelbäume, fochten mit Ästen und steckten die Hütten in Brand. Fast alle gebärdeten sich, als hätten sie den Verstand verloren. Nur einige knieten nieder und falteten die Hände.
Der Anblick dieser tobenden Horde erschreckte die Ungarn mehr, als es ein jäher Angriff vermocht hätte. Verstört schwangen sie ihre Säbel und schrien mit brüchigen Stimmen gegen das gräßliche Getöse an, jederzeit gegenwärtig, daß diese stinkende Meute über sie herfiel und sie unter sich begrub. Doch nichts dergleichen geschah. Niemand näherte sich ihnen oder schleuderte auch nur einen Stein. Es verging eine Weile, bis sie endlich wahrnahmen, daß die Leute nach wie vor von den Bewaffneten auf Abstand gehalten wurden und sogar die Gasse hinter ihnen offengeblieben war. Als sie das bemerkten, besannen sie sich nicht lange, rissen die Pferde herum und stoben ohne ihre Wagen und Lasttiere davon …
Vor Lärm und Schmutz waren sie geflohen, und wie zum Hohn waren Lärm und Schmutz von da an ihre ständigen Begleiter gewesen. Sobald man ihrer ansichtig wurde, gellten Schmährufe und Pfiffe. Auf Wegen, Dämmen und Brücken lagen Kothaufen, in den Gewässern schwammen totes Vieh und anderer Unrat. An ihren Flanken zogen grölende Kinderscharen durch den Wald und verscheuchten ihnen das Wild. Selbst nachts fanden sie keine Ruhe. Ihre Peiniger bliesen auf Hörnern, zerbrachen Holz, klopften an Baumstämme oder ahmten Tierlaute nach. War es tatsächlich einmal still, flammten zwischen den Sträuchern Fackeln auf. Dann argwöhnten die Ungarn, daß man sie verbrennen wollte, und taten bis zum Morgen kein Auge zu.
Teilnahmslos, von Hunger und Schlaflosigkeit zermürbt, schleppten sie sich nun schon seit Tagen dahin. Längst bereuten sie, daß sie vor Erfurt nicht gekämpft hatten, damals, als sie noch die Kraft dazu besessen hatten. Jetzt war es zu spät, die ihnen zugefügte Schmach zu rächen. Zwar hatten die Belästigungen gestern aufgehört, und wenn sie ihre Sinne nicht trogen, mußte das, was da vorn schimmerte, die Saale sein. Trotzdem glaubte nicht einer der Männer, daß sie mit dem Leben davonkommen würden. Gewiß hatten es die Sachsen darauf abgesehen, sie in Sicherheit zu wiegen, um sie danach mit desto größerem Behagen wie müde Herbstfliegen zu erschlagen. Ruhmlos würden sie zugrunde gehen, und nie würde man in der Heimat erfahren, was sie zuvor durchlitten hatten.
Mit dem Gefühl, geradewegs auf ihr Grab zuzureiten, näherten sie sich langsam dem Fluß. Wie so oft in den vergangenen Wochen sollten sie sich aber auch diesmal getäuscht haben. Ohne daß sie jemand behelligte, durchquerten sie die Saale und erreichten unversehrt die gegenüberliegende Seite. Nachdem sie eine Böschung erklommen hatten, erblickten sie Häuser; Gebell ertönte, und bald waren sie von sorbischen Fischern umringt, welche sie ins Dorf baten.
Bevor die Ungarn die Einladung annahmen, wandte sich ihr Anführer noch einmal zurück, schlang den Zügel um den Sattelbug und drohte, Verwünschungen röchelnd, mit beiden Fäusten zum anderen Ufer hinüber. Da erst erkannten alle, daß sie gerettet waren.
Nicht einer von ihnen ahnte indes, daß sie nicht bloß niemals in Gefahr
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