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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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aller Augen zu seiner Erschütterung, und die Anwesenden spürten, daß sie nicht geheuchelt war. Bei der Berührung mit dem heiligen Öl befiel ihn Blässe. Vor siebzehn Jahren hatte sein Vater das Salbungsangebot des damaligen Mainzer Erzbischofs ausgeschlagen. Somit war Otto der erste gesalbte König seines Stammes.
    Anschließend fand in der Pfalz das Krönungsmahl statt. In zähen Verhandlungen war festgelegt worden, daß die Herzöge als Inhaber der vier Thronämter – Truchseß, Mundschenk, Marschall und Kämmerer – auftreten sollten. Gegen ihre Zusicherung, daß sich alles auf geziemende Weise vollziehen werde, hatte ihnen Otto versprochen, bei diesem Spiel nicht den König herauszukehren, sondern sich auf die Rolle des Gastes zu beschränken. Außerdem hatte er sich verpflichtet, sie nach Abschluß des Festes durch Geschenke zu ehren, die jedermann klarmachten, daß dieser Dienst von ihm nicht als selbstverständlich aufgefaßt wurde.
    Man war gespannt, wie sich die Herzöge ihrer ungewöhnlichen Aufgaben entledigen würden. Wer diese hochmütigen Männer kannte, mochte nicht glauben, daß sie imstande waren, sich auch nur wenige Stunden zu verleugnen. Es kam jedoch anders, als die meisten erwartet hatten. Die Herzöge ließen nicht nur keinerlei Unwillen durchblicken, sondern gebärdeten sich, als hätten sie an diesem Tag ihre wahre Berufung entdeckt. Insbesondere Eberhard von Franken und sein Vetter, der Schwabenherzog Hermann, die für die Speisen und den Wein verantwortlich waren, zeigten einen geradezu dienstbotenhaften Eifer, wobei sie freilich ständig schmunzelten. Sich strikt an die getroffene Vereinbarung haltend, gaben sie so zu verstehen, wie sehr sie über ihre zeitweilige Verwandlung in Hofbeamte erhaben waren.
    Da man von einem Fest wie diesem allerorten sprechen würde und dann sicherlich zu wissen wünschte, was und wieviel auf ihm verzehrt worden war, gehörte es zu den Aufgaben beider Männer, die Anwesenden ganz unaufdringlich davon in Kenntnis zu setzen. So erfuhren die Gäste, daß für ihr leibliches Wohl und das ihrer Knechte und Krieger 104 Hirsche, 96 Wildschweine, 171 Rehe, 2.055 Hasen, 319 Graureiher, 496 Fasane, 214 Auerhühner, 4.126 Rebhühner, 21.943 Krammetsvögel, 305 Ochsen, 1.478 Kälber, 662 Lämmer, 349 Mastschweine, 518 Spanferkel, 13.387 Hühner, 2.992 Gänse, 4.903 Forellen, 82 Lachse, 2.169 Hechte, 16.315 Karpfen und 932 sonstige Fische wie Aale, Welse, Barsche und Bleie ihr Leben hätten lassen müssen und daß 6.412 Eimer Wein sowie 7.316 Viertel Bier bereitgestellt worden wären. Jede dieser Zahlen wurde, wie es sich geziemte, stürmisch bejubelt, jedoch nicht sehr ernst genommen, denn niemand vermochte sich vorzustellen, daß die Herzöge auch nur einen Augenblick damit vergeudet hatten, sich solche Angaben einzuprägen. Daher kam es, daß sich die fahrenden Sänger, die in solchen Dingen genau zu sein pflegten, diesmal auf die Bemerkung beschränkten, es sei ›wahrhaft königlich getafelt‹ worden, eine Einschätzung, die niemand anzweifeln konnte.
    Überhaupt fielen ihre Berichte eigentümlich trocken und schwunglos aus, was größtenteils daran lag, daß der Tag ohne Zwischenfälle verlief. Es geschah nichts von dem, womit sie ihre Lieder so gern schmückten; keine durch die Anwesenheit des Königs bewirkte Versöhnung entzweiter Verwandter; kein jäh aufgeflammter Streit, der, wäre er nicht durch ein Machtwort des Königs geschlichtet worden, unfehlbar zu Blutvergießen geführt hätte; keinerlei wundersame Erscheinung, die bestätigte, daß der Gekrönte der göttlichen Gnade im besonderen Maße teilhaftig war. Dabei ereignete sich durchaus etwas, das als Zwischenfall bezeichnet werden durfte, indes so wenig Aufsehen verursachte, daß lediglich die zwei daran Beteiligten seine Bedeutung erkannten.
    Gegen Ende des Mahles, die Frauen hatten sich längst zurückgezogen, begab sich Herzog Giselbert zu der Stelle der Tafel, an der die sächsischen Großen saßen. Einen Moment hatte es den Anschein, als wollte er die Hand auf die Schulter des jungen Königs legen, er strich sich aber nur über den Bart und sagte gedämpft: »Ich hatte deinen Vater um etwas gebeten. Entsinnst du dich? Ich will dich nicht drängen, doch mein Mann liegt mir in den Ohren.«
    Otto mußte nicht überlegen. Ein Vasall des Schwagers, mit einem Kloster in der Nähe Lüttichs belehnt, hatte den Vater kurz vor dessen Ableben um ein paar Hufen Land ersucht, die dem Kloster

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