Brennaburg
auf den Widerstand seiner Gattin Mathilde gestoßen, die zäh und beredt die Erhebung ihres Lieblingssohnes, des jüngeren Heinrich, betrieben hatte. Anders als Otto, so hatte sie immer wieder zu bedenken gegeben, sei jener zu einem Zeitpunkt empfangen und geboren worden, da sein Vater bereits König gewesen war – weswegen ihm das königliche Heil gewissermaßen mit in die Wiege gelegt worden wäre.
Dieser Einwand wog schwer, fand aber trotzdem keine ausreichende Unterstützung. Denn niemand konnte außer acht lassen, daß Heinrich noch ein unreifer Jüngling war, Otto hingegen ein erfahrener Mann. Nachdem feststand, daß ihr Plan gescheitert war, schickte sich Frau Mathilde rasch in die neue Lage und tröstete sich damit, daß die Krönung ihres Erstgeborenen durch ein besonders feierliches Zeremoniell begangen werden sollte. Insgeheim hoffte sie sogar, ein solch bedeutsamer Akt werde den zwischen den Brüdern aufgeflammten Zwist (an dem sie sich nicht schuldlos fühlte) ein für allemal beenden.
Für den Entschluß, die Krönung in Aachen zu vollziehen, einem Ort, der unweigerlich an Kaiser Karl denken ließ, waren freilich andere Erwägungen ausschlaggebend gewesen. Nachdem zu Beginn des Jahres der westfränkische König Rudolf gestorben war, hatten die Großen des Nachbarreiches Ludwig W., den letzten lebenden Karolinger, aus dem englischen Exil zurückgerufen. Im Juni war er durch den Erzbischof von Reims gesalbt und gekrönt worden. Bislang vermochte niemand vorauszusehen, was der neue Mann vorhatte. Doch allein die Vorstellung, er könne, von der Erinnerung an seine berühmten Vorfahren beflügelt, eine Veränderung des derzeitigen Kräfteverhältnisses anstreben, ließ den Häuptern der ostfränkischen Stämme eine Demonstration der Geschlossenheit geraten erscheinen. Diese würde ihre Selbständigkeit nicht ernstlich bedrohen und trotzdem auf den Rivalen den gewünschten Eindruck machen. Daher fanden sie sich bereit, mit einer aufwendigen, an karolingischen Traditionen ausgerichteten Zeremonie ein Zeichen zu setzen. Aachen sollte zudem den Anspruch auf das erst vor Jahren dem Reich wieder einverleibte Lothringen bekräftigen.
Für den jungen Thronfolger entstand somit durch den Machtwechsel im Westen eine unerwartet günstige Situation. Statt der versteckten Kraftproben, mit denen er gerechnet hatte, fiel ihm ein öffentliches Bekenntnis der Herzöge zum Königtum nun gleichsam in den Schoß. Er war entschlossen, seinen Vorteil zu nutzen, dabei jedoch weiterhin wachsam zu bleiben. Während der Verhandlungen, in denen der Ablauf des Rituals festgelegt wurde, schraubte er die Forderungen immer höher; gleichzeitig vergaß er keinen Augenblick, welchen Umständen er das Entgegenkommen der Herzöge tatsächlich zu verdanken hatte. Bis zuletzt war er auf Versuche gefaßt, das Gewicht des Wahlvorganges herabzumindern.
Von ähnlicher Spannung waren auch diejenigen erfüllt, die dem Akt beiwohnen würden. Wer sein Schicksal vorbehaltlos mit dem des Sachsen verbunden hatte, bangte und freute sich mit ihm, alle anderen schärften ihre Blicke für Anzeichen von Übermut oder Schwäche. Jeder versprach sich von Ottos Auftreten Hinweise auf dessen künftiges Verhalten. Insofern war das bevorstehende Ereignis mehr als eine Formalität.
Sein Beginn schien zunächst denen recht zu geben, die – je nachdem, wie sie ihren Vorteil auffaßten – gehofft oder gefürchtet hatten, daß der junge Mann noch lange brauchen werde, um sich an die neue Würde zu gewöhnen. Finster dreinschauend, betrat er mit seinem Gefolge am Morgen des siebenten August den Säulenvorhof des Aachener Münsters. Das enge fränkische Gewand schien ihm ein ebensolches Unbehagen zu bereiten wie der Anblick der Menge, die bei seinem Erscheinen sofort in Schweigen verfiel. Wohl um gelassen zu wirken, hatte er sich ein Schrittmaß auferlegt, das für seinen hohen Wuchs entschieden zu klein war; so entstand der Eindruck, daß es ihn Mühe kostete, das Gleichgewicht zu bewahren. Als ihn sein Schwager, der lothringische Herzog Giselbert, am Arm berührte, um ihn zu dem Sessel zu führen, auf dem er die Huldigungen entgegennehmen sollte, zuckte Otto, für alle sichtbar, zusammen.
Sowie er sich gesetzt hatte, traten die Versammelten der Reihe nach vor ihn hin, legten ihre Hände zwischen die seinen und schworen ihm Treue und Beistand gegen alle seine Feinde. Für geraume Zeit waren nur noch das Gurren der Tauben, das Murmeln der Huldigenden und das
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