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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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widerrechtlich entzogen worden seien. Seine Ansprüche waren geprüft und anerkannt worden, zu einer Bestätigung war es jedoch nicht mehr gekommen. Schon wenige Tage nach dem Tod Heinrichs hatte Otto mit dem Gedanken gespielt, die Urkunde noch vor der Wahl ausstellen und auf den Tag nach der Krönung datieren zu lassen. Ein harmloses Vergnügen, das niemandem schadete und ihm die Gelegenheit bot, den Schwager zu überraschen. Mitte Juli, als unwiderruflich feststand, daß er dem Verstorbenen auf dem Thron folgen würde, erlag er der Versuchung. Damit sich dieser Vorgriff auf künftige Befugnisse nicht herumsprach und ihn der Lächerlichkeit preisgab, wandte er sich an den Notar Simon, der wegen seines Alters seit fünf Jahren nicht mehr im Kanzleidienst beschäftigt wurde. Glücklich, daß er noch einmal gerufen wurde, hatte ihm der alte Mann Stillschweigen zugesichert und die Urkunde vorbereitet.
    Die Angelegenheit ist unter Dach und Fach, wollte der junge König sagen. Er war sich bewußt, daß er damit dem anderen das Geheimnis seiner eitlen Anwandlung auslieferte. Aber Giselbert hatte Wort gehalten und sich so betragen wie vereinbart. Warum sollte er ein solches Eingeständnis nicht verstehen, wie es gemeint war – als ein Angebot, auch in Zukunft aufrichtig miteinander umzugehen, ohne Ränke und ohne die Blößen des anderen auszunutzen? Einer mußte schließlich damit beginnen und ein Zeichen setzen – warum nicht er, Otto? Und weshalb nicht jetzt, da man gerade so einträchtig beisammensaß?
    Ein Blick auf den Schwager verschloß dem jungen König aber noch rechtzeitig den Mund. Giselbert stand in einer seltsam verkrampften Haltung vor ihm, so, als bereite ihm die leichte Beugung des Oberkörpers, zu der er sich notgedrungen bequemen mußte, unerhörte Qualen. Als sich ihre Augen trafen, lächelte er gezwungen, wurde aber sogleich wieder ernst. Du spielst den gnädigen Herrscher, las Otto in ihnen, ich den treuen Vasallen; das muß gewiß so sein, und wie du siehst, spiele ich mit. Doch hoffe nicht, daß dies jemals mehr als ein Spiel sein wird. Komme übrigens zum Ende, denn wie du sicherlich verstehst, bin ich für heute selbst des Spielens überdrüssig …
    Beschämt senkte der junge König den Kopf. Er fühlte keinen Zorn, nicht einmal Enttäuschung, sondern nur Ärger über seine Vertrauensseligkeit. »Es ist richtig, daß du mich daran erinnerst«, sagte er gleichmütig. »Schon morgen werde ich es veranlassen.«
    »Ich danke dir«, erwiderte der Herzog ebenso gleichmütig. Nach kurzem Besinnen fügte er hinzu: »Das ist ein guter Beginn, will mir scheinen. Für dich wie für uns alle.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nun, deine erste Handlung nach der Krönung hätte schließlich auch ein Urteil sein und jemanden den Besitz oder gar das Leben kosten können.«
    Der junge König kräuselte den Mund. »Bei Gott, Schwager, du hast recht«, sagte er. »Demnach wäre ich es, der dir zu danken hätte. Sei also bedankt, daß du mit deiner Bitte nicht gezögert hast.«
    Giselbert lachte und gab durch eine Bewegung der Brauen zu verstehen, daß er den Spott zu würdigen wußte.
    Während sich der Herzog wieder auf seinen Platz begab, schaute sich Otto unauffällig um. War ihr Gespräch beobachtet worden? Nein, anscheinend nicht. Die meisten waren vermutlich schon viel zu betrunken, als daß sie auf das, was um sie herum vor sich ging, noch geachtet hätten.
    In diesem Moment bemerkte er, daß am Ende des Tisches ein Paar dunkler glänzender Augen auf ihn gerichtet waren. Gereizt wandte er sich ab. Daß man ihn gründlicher musterte als andere, war er gewöhnt, doch was er seit dem Morgen hatte ertragen müssen, überstieg das Maß, mit dem er gerechnet hatte. Plötzlich war ihm klargeworden, daß der Vater nicht gescherzt hatte, wenn er zuweilen klagte, er dürfe sich nicht schneuzen, ohne vorher alle Folgen zu bedenken. Dabei war es nicht so sehr die Menge der Blicke gewesen, die ihn anfangs fast aus der Fassung gebracht hatte, als vielmehr das, was sie ausdrückten. Es war, als glaubten jene, die ihn angestiert hatten, daß er nicht nur jede seiner künftigen Unternehmungen, sondern ebenso ihr Schicksal bis in alle Einzelheiten geplant habe und daß man ihn nur lange genug betrachten müsse, um herauszukriegen, was er über einen verhängt hatte.
    Die Wahrheit hingegen war die, daß er noch nicht einmal wußte, was er als nächstes tun würde; denn Entscheidungen, die ihn richtig und unumstößlich gedünkt

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