Brennaburg
Otto vor etlichen Jahren einen weißen Gerfalken geschenkt. Das Tier, obwohl bereits als Ästling in die Gewalt der Menschen geraten, hatte sich zu einem prachtvollen, angriffsfreudigen Jäger entwickelt. Er selbst hatte es abgerichtet und ließ es sich bis heute nicht nehmen, es eigenhändig zu versorgen. Nie, nicht einmal, wenn er in den Krieg zog, trennte er sich von ihm, und auch in der größten Stunde seines Lebens sollte es in seiner Nähe sein. Da der Schwager seine Leidenschaft für Edelfalken teilte, hoffte er zudem auf eine Gelegenheit, ihm den schönen Vogel gleichsam beiläufig vorführen zu können. Er hatte sich nicht verrechnet. Nachdem die Bayern, Franken und Schwaben am folgenden Tag die Heimreise angetreten hatten, fragte ihn Herzog Giselbert, ob er nicht Lust habe, ein bißchen zu beizen …
Während sich dem Herzog nur zwei lothringische Grafen angeschlossen hatten, wurde der König von fast allen vornehmen Sachsen sowie einigen Gesandten abhängiger Stämme begleitet. Es war daher eine stattliche Zahl Männer, die sich nach dem Essen in Marsch setzten, schweigend zumeist und mit bleichen Gesichtern, denen man noch die Strapazen des Festes ansah. Im Trab ging es über abgeerntete Felder und Brachen auf einen Viehaustrieb, der in eine Schafweide mündete. Danach begann morastiger Auwald. Der Weg verengte sich und wurde so schmal, daß einer hinter dem anderen reiten mußte. Schwarzköpfige Sumpfmeisen zeterten im Geäst, dann und wann jaulte einer der Hunde, wenn ihn ein Dornenzweig gestreift hatte. Es war schwül, unablässig sirrten Mücken, und in der Ferne grummelte ein Gewitter.
Endlich trat der Wald zurück und öffnete den Blick auf eine mit Buschwerk und Ried bewachsene und von verfallenen Gräben durchzogene Wiese. In ihrer Mitte, darauf ließen die Rufe von Bleßhühnern schließen, mußte es eine größere Wasserfläche geben, die, von hohem Schilf gesäumt, aber nicht zu sehen war.
Bis auf die vier Jäger, die langsam weiterritten, hielten alle an. Die Knechte waren abgestiegen und im Begriff, die Hunde loszumachen, als hinter einem Strauch ein Fasanenweibchen hochflatterte. Der Herzog schaute zum König, der indes so tat, als habe er es nicht bemerkt. Nun gab Giselbert einem der beiden Grafen ein Zeichen, worauf dieser die Geschühriemen seines Habichtterzels löste und ihn abwarf.
Die Henne purrte schräg nach oben. Als sie den Habicht entdeckte, unterbrach sie ihren Flügelschlag und ging im Gleitflug nieder. Der Terzel stieß an ihr vorbei, warf sich jedoch sogleich wieder herum und schlug sie über einem Erlenbusch, in den sie hatte flüchten wollen.
Der Graf saß ab. Während er sich auf die Suche nach den zwei Vögeln machte, war ungefähr dort, wo sie heruntergekommen sein mußten, ein klatschendes Geräusch zu hören, das in ein feines Singen überging. Gleich darauf tauchte über den Wipfeln einer Gruppe junger Birken ein Stockentenerpel auf. Weder der König noch der Herzog trafen Anstalten, ihren Falken die Kappen abzunehmen, und so gab auch der andere Graf seinen Habicht frei. Der strich ab und griff den ahnungslosen Erpel mit solchem Ungestüm an, daß die Zuschauenden Beifall spendeten.
Die Mienen der meisten hatten sich belebt. Durch den unerwartet schnellen Beginn der Jagd und die Todesschreie der geschlagenen Vögel in eine freudige Erregung versetzt, zeigten sie lachend auf das Wölkchen, das der Habicht und seine Beute zurückgelassen hatten. Es waren Brustfedern des Erpels, die nun, vom Wind in alle Richtungen zerstreut, herabrieselten.
Noch hatte nicht jede von ihnen den Boden erreicht, da erscholl Hundegebell, und auf der Wiese wurde es lebendig. Elstern tschackerten, Amseln schimpften, im Röhricht knackte und platschte es. Prasselnd brach ein Wildschwein hervor, flitzte über die Lichtung und verschwand im Unterholz. Über den Spitzen des Schilfes aber erhob sich ein Graureiher, der mit gemächlichem Schwingenschlag dem rechten Waldrand zustrebte.
Der Herzog zügelte sein Pferd und sah zum König. Als er feststellte, daß dieser den Gerfalken noch nicht entkappt hatte, machte er eine unbeherrschte Bewegung zum Kopf seines Wanderfalken. In diesem Augenblick fing auch der König an, die Kappe abzustreifen. Der Herzog hielt sofort inne und beruhigte seinen Vogel, der, weil er die Bewegung offenbar gespürt hatte, nun enttäuscht zu lahnen begann …
Während sich die Habichte mit wuchtiger Härte auf ihre Opfer gestürzt hatten, hatte es bei dem
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