Brennen Muss Salem
»Kreuz? Mein Gott, ich habe keines.«
»Sie waren niemals Pfadfinder«, sagte Jimmy und öffnete seine Tasche. »Ich hingegen, bin ›allzeit bereit‹.«
Er nahm zwei Spachteln heraus und band sie mit einem Heftpflaster in einem rechten Winkel zusammen.
»Segnen Sie es«, sagte er zu Ben.
»Was? Ich kann das doch nicht ... ich weiß gar nicht, wie man das tut.«
»Dann erfinden Sie etwas«, sagte Jimmy, und sein freundliches Gesicht sah plötzlich angespannt aus. »Sie sind Schriftsteller. Um Gottes willen, beeilen Sie sich. Ich glaube, etwas bereitet sich vor. Fühlen Sie es nicht auch?«
Und Ben fühlte es. Etwas schien sich in dem purpurnen Dämmerlicht zusammenzuziehen, noch unsichtbar, schwer jedoch und irgendwie elektrisch. Bens Mund war ausgetrocknet, und er mußte seine Lippen befeuchten, bevor er sprach.
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
Mit plötzlicher Sicherheit sprudelten die Worte hervor.
»Der Herr ist mein Hirte«, sagte er und die Worte fielen in den dunkelnden Raum wie Steine in einen tiefen See.
Das Atmen fiel schwer. Bens Körper war von Gänsehaut bedeckt, und sein Nackenhaar begann sich aufzustellen.
Das Leintuch, das Marjorie Glick bedeckte, begann zu zittern. Eine Hand kam zum Vorschein, und die Finger drehten und krümmten sich.
»Mein Gott, sehe ich das tatsächlich?« flüsterte Jimmy. Sein Gesicht war blaß geworden, und die Sommersprossen stachen hervor wie Spritzer auf einer Glasscheibe.
»- behüte mich alle Tage meines Lebens«, schloß Ben. »Jimmy, sieh das Kreuz an.«
Das Kreuz leuchtete und tauchte Bens Hand in ein märchenhaftes Licht.
In der Stille sprach eine langsame, rauhe Stimme, und es klang knirschend wie aneinandergeriebene Porzellanscherben:
»Danny?«
Die Gestalt unter dem Laken setzte sich auf. In dem dunklen Zimmer bewegten sich Schatten, huschten hin und her.
»Danny, wo bist du, Liebling?«
Das Laken glitt von Marjories Gesicht und fiel in ihren Schoß.
Im Halbdunkel glich das Gesicht von Marjorie Glick einer fahlen, mondähnlichen Scheibe, nur von den dunklen Löchern ihrer Augen durchbrochen. Jetzt erblickte das Wesen Ben und Jimmy; der Mund öffnete sich zu einem häßlichen Grinsen. Die letzten matten Strahlen des Tageslichts ließen die Zähne schimmern.
Marjorie schwang die Beine vom Tisch; einer der Pantoffeln fiel herab.
»Bleib sitzen!« sagte Jimmy zu Ben. »Keine Bewegung.«
Das Wesen antwortete mit einem dunklen, hundeähnlichen Knurren, glitt vom Tisch herunter, schwankte und ging auf die Männer zu. Ben bemerkte, daß er in diese Augenhöhlen starrte, und riß sich los davon. Dort, in den Augenhöhlen, lagen schwarze Welten, von roten Blitzen durchzuckt, und es war zu begreifen, daß man darin ertrinken und dies auch noch genießen konnte.
»Sieh ihr Gesicht nicht an«, befahl Ben Jimmy.
Ohne nachzudenken, wichen sie vor dem Wesen zurück, ließen sich zu dem schmalen Gang treiben, der zur Treppe führte.
»Versuch es mit dem Kreuz, Ben.«
Beinahe hatte er darauf vergessen. Jetzt hielt er es in die Höhe, und es funkelte. Mrs. Glick ließ ein Zischen hören und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Ihre Züge schienen sich zusammenzuziehen, sich zu krümmen und zu winden wie ein Schlangennest. Sie taumelte rückwärts.
»Jetzt haben wir sie«, schrie Jimmy.
Das Kreuz vor sich haltend, ging Ben auf Marjorie zu. Vergeblich versuchte sie, es fortzustoßen. Ihre Hand glich einer Klaue. Ben hielt ihr das Kreuz entgegen, und ihrer Kehle entrang sich ein markerschütternder Schrei.
Alles weitere wurde für Ben zu einem Alptraum. Obwohl er noch Ärgeres erleben sollte, sah er während der folgenden Tage und Nächte unaufhörlich die gleiche Szene vor sich: wie sie Marjorie Glick auf den Tisch zurücktrieben, vor dem das Bettlaken und ein Pantoffel lagen.
Marjorie zog sich widerwillig zurück, und ihre Augen wanderten unaufhörlich zwischen dem verhaßten Kreuz und einer Stelle auf Bens Hals hin und her. Die Laute, die sie ausstieß, waren ein unmenschliches Kauderwelsch, ein gutturales Gegrunze, und es war etwas so Blindwütiges in ihrem Rückzug, daß sie aussah wie ein riesenhaftes, schwerfällig kriechendes Insekt. Hätte ich nicht dieses Kreuz, sie würde meinen Hals mit ihren Nägeln aufreißen und das hervorschießende Blut trinken, gierig wie ein Mann in der Wüste, der am Verdursten ist. Sie würde baden in meinem Blut.
Jimmy war nicht mehr neben ihm; er umkreiste Marjorie von links. Sie
Weitere Kostenlose Bücher