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Brennen Muss Salem

Brennen Muss Salem

Titel: Brennen Muss Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hinabsteigt – und man selbst sitzt bequem neben seinem Freund im Zuschauerraum und denkt sich: Diese dumme Gans ... So etwas würde ich nie tun! Und hier war sie nun und tat genau dasselbe. Sie begann zu verstehen, wie tief die Kluft zwischen dem menschlichen Groß- und Mittelhirn geworden war; wie das Großhirn einen zwang, etwas zu tun, ohne auf die Warnungen des instinktsicheren Mittelhirns zu hören, das in seiner Beschaffenheit etwa dem Hirn eines Krokodils gleicht. Das Großhirn trieb einen voran, bis die Tür zum Dachboden weit offen stand und man sich von Angesicht zu Angesicht mit dem greulichsten Schrecken befand, oder bis man durch die Luke in den Keller starrte und sah, daß-
    Sie verdrängte die düsteren Gedanken und stellte fest, daß sie schwitzte. Und all das beim Anblick eines Hauses mit geschlossenen Fensterläden. Du mußt aufhören, so kindisch zu sein, sagte sie sich. Du gehst dort hinauf und erforschst den Platz, das ist alles. Vom vorderen Hof aus kannst du dein Zuhause sehen. Was kann denn schon geschehen, wenn man in Sichtweite seines eigenen Hauses ist?
    Dessenungeachtet duckte sie sich und umfaßte den Pfahl etwas fester; als der Schutz der Bäume immer kärglicher wurde, kroch sie auf den Knien weiter. Drei bis vier Minuten später war sie soweit vorwärtsgekommen, wie es möglich war, ohne gesehen zu werden. Von ihrem Standort hinter Pinien und Wacholdergestrüpp konnte sie die Westfront des Hauses sehen, an der sich ein dichtes Gewirr von Holunderstauden emporrankte, deren Blätter sich bereits herbstlich verfärbt hatten.
    Das Sommergras war gelb geworden, reichte aber immer noch bis an die Knie. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, es abzumähen.
    Plötzlich durchbrach Motorengeräusch die Stille. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Einen Augenblick später wurde in der Einfahrt ein schwarzer Wagen sichtbar, der in die Straße einbog und stadtwärts fuhr. Bevor der Wagen verschwand, konnte sie den Lenker ganz deutlich erkennen: Seinen großen kahlen Schädel, seine tiefliegenden Augen. Straker. Auf dem Weg zu seinem Laden.
    Jetzt konnte sie erkennen, daß die meisten Fensterläden ausgebrochene Querlatten hatten. Gut. Sie würde zum Haus kriechen, durch die Läden schauen und sehen, was es zu sehen gab.
    Vermutlich nicht mehr als ein Haus, das sich im ersten Stadium einer langwierigen Renovierung befand. Arbeiten an der Stuk-katur, die gerade in Angriff genommen wurden, vielleicht neue Tapeten, Werkzeuge, Leitern und Eimer. Alles ungefähr so romantisch wie ein Fußballspiel im Fernsehen.
    Aber die Angst war immer noch da.
    Sie stieg aus unbekannten Tiefen auf, spülte jede Logik hinweg und füllte Susans Mund mit einem Geschmack von oxydiertem Kupfer.
    Sie wußte bereits, daß jemand hinter ihr stand, bevor noch die Hand auf ihre Schulter fiel.
    Es war beinahe schon dunkel.
    Ben stand von dem hölzernen Klappstuhl auf, ging zum Fenster und warf einen Blick auf den Rasen hinter der Bestattungsanstalt. Es war Viertel vor neunzehn Uhr, die abendlichen Schatten wurden länger. Trotz der vorgerückten Jahreszeit war das Gras noch grün, und Ben nahm an, daß der Leichenbestatter versuchte, es so zu erhalten, bis es vom Schnee bedeckt wurde. Ein Symbol des fortbestehenden Lebens, trotz des sterbenden Jahres. Ben fand das ungewöhnlich deprimierend und wandte sich vom Fenster ab.
    »Ich wollte, ich hätte eine Zigarette«, sagte er.
    »Sie sind gesundheitsschädlich«, sagte Jimmy automatisch, ohne sich umzuwenden. Auf einem kleinen Portable sah er sich das Sonntagabendprogramm an.
    »Aber ich möchte auch eine. Ich habe es aufgegeben, als der Primarius vor zehn Jahren die große Anti-Nikotin-Kampagne startete. Schlecht für die Werbung. Aber ich wache heute noch auf und greife nach der Packung auf meinem Nachttisch.«
    »Ich dachte, Sie hätten es aufgegeben?«
    »Aus demselben Grund verwahre ich auch eine Flasche Scotch in der Küchenkredenz. Das stärkt die Willenskraft, mein Sohn.«
    Ben schaute auf die Uhr. Achtzehn Uhr siebenundvierzig.
    Die Samstagzeitungen hatten den Sonnenuntergang für neunzehn Uhr zwei, Ortszeit, vorausgesagt.
    Jimmy hatte alles sehr ordentlich erledigt. Maury Green war ein kleiner Mann, dessen ernster, fragender Gesichtsausdruck sich bei ihrer beider Anblick in ein breites, freundliches Lächeln verwandelt hatte.
    »Schalom, Jimmy!« rief er. »Gut, Sie zu sehen. Wo hatten Sie sich versteckt?«
    »Ich habe die Welt vor dem Schnupfen bewahrt«, erwiderte Jimmy,

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