Brennen Muss Salem
Antwort.
»Nein«, sagte er, als sei das selbstverständlich. »Sie haben einen Ausflug an die Küste gemacht.«
»Du bist ein ganzer Kerl.«
»Nein, das bin ich nicht«, sagte er, unberührt von ihrer Bewunderung. »Aber ihn werde ich fertigmachen.« Er blickte zu dem Haus hinüber.
»Bist du sicher -«
»Ganz sicher. Kannst du nicht fühlen, wie schlecht er ist?
Macht es dir nicht Angst, auch nur zum Haus hinzuschauen?«
»Ja«, sagte sie, entwaffnet. Seine Logik war die eiserne Logik der Pubertierenden, und zum Unterschied von Bens oder Matts männlicher Logik hatte sie absolute Überzeugungskraft.
»Wie werden wir es anstellen?« fragte Susan und übertrug so Mark automatisch die Führung.
»Einfach hinaufgehen und einbrechen«, sagte er. »Ihn finden, ihm den Pfahl – meinen Pfahl - durchs Herz stoßen und wieder fortgehen. Vermutlich ist er im Keller. Sie mögen dunkle Plätze.
Hast du eine Taschenlampe?«
»Nein.«
»Verdammt. Ich auch nicht.« Einen Augenblick lang fuhren seine Füße ziellos in den Blättern umher. »Wahrscheinlich hast du auch kein Kreuz?«
»Doch«, sagte Susan, zog die Kette aus ihrer Bluse und zeigte sie ihm. Er nickte und zog seine Kette aus dem Hemd hervor.
»Hoffentlich kann ich sie zurücklegen, bevor meine Eltern kommen«, sagte er besorgt. »Ich nahm sie aus der Schmuck-schatulle meiner Mutter.« Er blickte um sich. Die Schatten waren länger geworden, und beide überkam das Verlangen, zu warten, zu warten.
»Sieh nicht in seine Augen, wenn wir ihn finden«, sagte Mark.
»Weißt du ein Gebet auswendig?«
Sie gingen durch die Büsche und über den ungepflegten Rasen auf das Marstenhaus zu.
»Das Vaterunser -«
»Ja, das genügt. Das kann ich auch. Wir werden es gemeinsam sprechen. Während wir den Pfahl hineinstoßen.«
Er sah ihren Gesichtsausdruck und drückte ihre Hand. Seine Selbstsicherheit war nahezu unheimlich. »Wir müssen es tun.
Nach der letzten Nacht gehört ihm wahrscheinlich schon die halbe Stadt. Wenn wir zuwarten, gehört sie ihm ganz. Jetzt wird es immer rascher gehen.«
»Nach der letzten Nacht?«
»Ich habe es geträumt«, sagte Mark. Seine Stimme war ruhig, doch seine Augen wurden dunkel. »Ich träumte, daß sie zu den Häusern gingen und um Einlaß baten. Manche Leute wußten es, wußten es in ihrem Innersten, aber sie ließen sie dennoch ein. Denn das fällt leichter, als zu denken, daß so etwas Furchtbares Wirklichkeit sein könnte.«
»Nur ein Traum«, murmelte sie.
»Ich möchte wetten, daß eben jetzt eine Menge Leute bei vorgezogenen Vorhängen und herabgelassenen Jalousien im Bett liegen und sich fragen, ob sie eine Verkühlung oder eine Grippe haben. Sie fühlen sich schwach und benommen. Sie wollen nichts essen. Allein beim Gedanken an Essen möchten sie erbrechen.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich lese die Monster-Zeitschriften«, sagte er, »und wenn möglich sehe ich mir auch die Filme an. Für gewöhnlich muß ich allerdings meiner Mutter sagen, daß ich Walt-Disney-Filme anschaue.«
Sie waren an der Seitenfront des Hauses angelangt. Nun sind wir schon eine ganze Mannschaft von Vampirismus-Gläubigen, dachte Susan. Ein alter Lehrer, der über seinen Büchern halb verrückt geworden ist, ein von Alpträumen aus der Kindheit besessener Schriftsteller, ein kleiner Junge, der im Kino und durch Dreigroschenromane einen Fortbildungskurs in Sachen Vampirismus absolviert hat. Und ich? Glaube ich wirklich daran?
Sie glaubte daran.
Mark hatte Recht gehabt; je näher man dem Haus kam, desto unmöglicher wurde es, das Unglaubliche nicht zu glauben. Alle Gedanken, ja das Gespräch selbst wurden von einer inneren Stimme übertönt, und diese Stimme schrie: Gefahr! Gefahr! m Worten, die keine Worte waren. Herzschlag und Atmung wurden rascher, die Haut war eiskalt. Die Augen schienen ungewöhnlich scharf zu sehen und jeden Kratzer, jeden Farbfleck an der Mauer wahrzunehmen. Und das alles war durch kein äußeres Ereignis ausgelöst worden, durch keine bewaffneten Männer, keine großen, knurrenden Hunde, keinen Geruch nach Feuer. Nach unendlich langem Schlaf war ein Wächter aufgewacht, der hellsichtiger war als die fünf Sinne.
Susan lugte durch einen Spalt in den Fensterläden. »So etwas!
Sie haben ja überhaupt nichts verändert«, sagte sie beinahe ärgerlich. »Alles ist voll von Dreck.«
»Heb mich hinauf. Ich möchte auch etwas sehen.«
Sie verschränkte die Hände und ließ ihn in das Wohnzimmer des Marstenhauses
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