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Brennen Muss Salem

Brennen Muss Salem

Titel: Brennen Muss Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schauen. Er sah abgelöste Tapeten, eine dicke Staubschicht auf dem Boden, Spinnweben an der Decke.
    Bevor Susan protestieren konnte, hatte er mit seinem Pfahl das Schloß zerschlagen; die Läden öffneten sich ein wenig.
    »Achtung!« protestierte sie. »Du solltest nicht–«
    »Was wollen wir sonst tun? Vielleicht an der Tür klingeln?«
    Er schob den Fensterladen zu seiner Rechten seitwärts und zerbrach eine der staubigen Wellglasscheiben. Drinnen klirrte es. Ihr Herz schlug wild vor Angst. Sie spürte einen intensiven Geschmack auf ihrer Zunge.
    »Wir können immer noch davonlaufen«, sagte sie, mehr zu sich selbst.
    Er sah auf sie herab, und in seinem Blick lag keine Verachtung - nur Offenheit und eine Angst, die größer war als die ihre.
    »Wenn du gehen willst, mußt du gehen«, sagte er.
    »Nein, ich will nicht.« Sie versuchte, etwas zu schlucken, das ihr im Hals steckte, und es gelang nicht. »Eil dich, du wirst schwer.«
    Er schlug das Fensterglas ein, nahm den Pfahl in die andere Hand und öffnete von innen den Fensterriegel. Der quietschte leise, und dann war der Weg frei.
    Sie ließ ihn herab, und beide schauten einen Augenblick lang wortlos auf das Fenster. Dann tat Susan einen Schritt, stützte ihre Hände auf das rauhe Fensterbrett und schwang sich hinauf.
    Die Angst lag in ihrem Bauch wie eine schwere Schwangerschaft. Jetzt wußte sie endlich, was Matt Burke empfunden hatte, als er die Treppe zum Gästezimmer hinaufstieg - zu was immer ihn dort erwartete.
    Sie hatte Angst, bewußt oder unterbewußt. In Form einer simplen Gleichung dargestellt, waren Ängste das Unbekannte.
    Um diese Gleichung zu lösen, brauchte man sich nur der einfachsten Rechenregeln zu bedienen, wie zum Beispiel: unbekannt = ein knarrendes Brett (oder was auch immer), knarrendes Brett = nichts, wovor man Angst haben müßte. Einige Ängste waren natürlich berechtigt. (Man fährt nicht mit dem Auto, wenn man getrunken hat, man streichelt keine kläffenden Hunde, man fährt mit Jungen, die man nicht kennt, nicht auf einen dunklen Parkplatz, und so weiter.) Aber bis jetzt hatte sie nicht gewußt, daß Ängste etwas Unbegreifliches, Apokalypti-sches, Lähmendes waren. Diese Gleichung war unauflösbar.
    Jeder Schritt vorwärts wurde zu einer heroischen Tat.
    Sie ließ sich auf den staubigen Fußboden hinabgleiten und sah sich um. Ein Geruch war da. Fast sichtbar strömte er aus allen Poren der Wände. Sie versuchte, sich einzureden, das sei nur verfaulter Mörtel und der angehäufte Unrat all der Tiere, die hinter der herabfallenden Vertäfelung genistet hatten. Aber der Geruch war schärfer als Tiergestank. Er ließ an Tränen denken, an Erbrechen und Finsternis.
    »He«, rief Mark leise. Seine Hände lagen auf dem Fensterbrett. »Hilf mir, bitte.«
    Susan lehnte sich aus dem Fenster, faßte Mark unter den Achseln und zog ihn herein. Als er auf dem Teppich aufsprang, gab es ein dumpfes Geräusch, dann war das Haus wieder still.
    Sie lauschten dieser Stille, waren gebannt von ihr. Nichts gab es außer dieser großen, toten Stille und dem Pochen des eigenen Blutes in den Ohren.
    Dennoch wußten sie es beide. Sie waren nicht allein.
    »Komm«, sagte er. »Sehen wir uns um.« Er umklammerte seinen Pfahl, und einen kurzen Augenblick lang sah er sehnsüchtig zum Fenster zurück.
    Langsam ging Susan in den Vorraum, und Mark folgte ihr.
    Vor der Tür stand ein schmaler Tisch, auf dem ein Buch lag. Er schlug es irgendwo auf und fuhr zusammen. Das Bild eines nackten Mannes, der den Körper eines Kindes jemandem entge-genhielt, den man nicht sah. Man hatte dem Kind die Gedärme entfernt. Er legte das Buch nieder - der Einband kam ihm unangenehm bekannt vor -, und sie gingen den Gang entlang zur Küchentür. Hier wurden die Schatten dunkler. Die Sonne war zur ändern Hausseite gewandert.
    »Riechst du es?« fragte er.
    »Ja.«
    »Hier ist es stärker, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Er erinnerte sich an den Kühlraum, den seine Mutter in ihrem früheren Haus eingerichtet hatte und in dem vor einem Jahr drei Körbe mit Tomaten faulig geworden waren. Der Geruch war wie dieser hier, es war der Geruch von Tomaten, die in Fäulnis übergehen.
    Susan flüsterte: »Mein Gott, ich furcht' mich so.«
    Er suchte nach ihrer Hand und hielt sie fest.
    Das Küchenlinoleum war alt und durchlöchert. Vor der Por-zellanspüle war es schwarz. In der Mitte des Raums stand ein großer Tisch und darauf waren ein Teller, ein Messer, eine Gabel und ein Stück rohe

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