Brennen Muss Salem
abzuziehen, stieg Ann Norton aus dem Auto und ging auf das Spital zu. Dunkle Wolken hatten die Sterne verdeckt; bald würde es regnen. Ann sah nicht zu den Wolken auf, sie sah geradeaus.
Diese Frau sah sehr anders aus als die Dame, die Ben Mears an jenem ersten Abend kennengelernt hatte, an dem Susan ihn zum Abendbrot einlud. Jene Dame nämlich war von mittlerer Größe gewesen, gekleidet in ein grünes Wollkleid, das nicht gerade nach übermäßigem Reichtum, aber doch nach materiel-lem Wohlstand aussah. Sie war zwar nicht schön gewesen, aber gepflegt und angenehm anzusehen.
Diese Frau, die auf das Spital zuging, trug Pantoffeln, und ihre Beine waren nackt. Über das Nachthemd hatte sie einen zerrissenen gelben Morgenrock geworfen, und der Wind blies ihr die Haare in Strähnen über das Gesicht. Ihre Haut war kalkig weiß, und dunkelbraune Ringe lagen unter ihren Augen.
Sie hatte Susan vor Ben Mears und seinen Freunden gewarnt, hatte sie vor dem Mann gewarnt, der sie nun ermordet hatte.
Matt Burke hatte Mears angestiftet. Ja, die beiden steckten unter einer Decke. O ja, sie wußte das. Er hatte es ihr gesagt.
Den ganzen Tag über war sie krank gewesen, krank und schläfrig und beinahe nicht imstande, aufzustehen. Als sie nach dem Mittagessen in einen schweren Schlaf versank und während ihr Mann außer Haus war, um Fragen für eine blödsinnige Abgängigkeitsanzeige zu beantworten, war er im Traum zu ihr gekommen. Sein Gesicht war schön und arrogant und gebiete-risch. Sein voller faszinierender Mund verbarg seltsam aufregende Zähne. Und seine Augen waren rot und hypnotisierend.
Wenn er einen mit diesen Augen ansah, konnte man nicht fortschauen ... und wollte es auch nicht.
Er hatte ihr alles gesagt und auch gesagt, was sie tun mußte, um wieder mit ihrer Tochter vereint zu sein – und mit ihm. Er war es, dem sie zu Gefallen sein wollte. Er würde ihr die Dinge geben, nach denen sie verlangte ...
Sie hatte den Revolver ihres Mannes in der Tasche.
Sie betrat das Spital. Wer immer sie aufhalten wollte, würde aus dem Weg geräumt werden. Der erste Schuß aber durfte erst in Burkes Zimmer fallen. Das hatte er ihr befohlen. Wenn man sie fing, bevor sie den Auftrag ausgeführt hatte, dann würde er nicht mehr zu ihr kommen, dann würde sie nicht mehr seine brennenden Küsse empfangen.
Ein junges Mädchen saß in der Rezeption, mit weißer Mütze und in Uniform. Das Mädchen löste im Dämmerschein der Lampe über ihrem Pult ein Kreuzworträtsel. Ein Spitalbe-diensteter ging gerade die Halle entlang und wandte Ann den Rücken zu.
Mit einem höflichen Lächeln blickte die diensthabende Schwester auf, als sie Anns Schritte hörte. Das Lächeln verschwand, als sie die hohlwangige Frau im Morgenrock sah.
Deren Augen waren zugleich leer und glänzend, als wäre sie ein Spielzeug, das jemand aufgezogen und in Bewegung gesetzt hatte.
»Wenn Sie bitte –«
Ann Norton nahm den Revolver aus der Tasche, richtete ihn auf den Kopf der Schwester und sagte: »Drehen Sie sich um.«
Langsam stand die Schwester auf und drehte sich um. Soeben wollte Ann Norton den Revolver mit aller Kraft auf den Kopf der Schwester niedersausen lassen.
Genau in dieser Sekunde wurden ihr die Füße weggezogen.
Der Revolver flog in hohem Bogen auf den Fußboden.
Die Frau in dem zerfetzten Morgenmantel kroch ihm nach wie eine Krabbe, und der verblüffte Mann hinter ihr versuchte, die Waffe ebenfalls zu erreichen. Als der Mann sah, daß die Frau ihm zuvorkommen würde, stieß er den Revolver quer über den Spannteppich.
»Hilfe«, rief der Mann. »Hilfe!«
Ann Norton schaute über ihre Schulter zurück und zischte ihn an, wobei sich ihr Gesicht zu einer haßerfüllten Fratze verzog.
Ein Krankenpfleger kam herbeigelaufen. In fassungslosem Erstaunen starrte er auf das Bild, das sich ihm bot, dann hob er den Revolver auf, der fast zu seinen Füßen lag.
»Um Himmels willen«, sagte er, »das Ding da ist ja geladen –«
Die Frau warf sich auf ihn. Ihre Hände, zu Klauen gekrümmt, krallten sich in das Gesicht des Pflegers und hinterlie-
ßen auf Stirn und Wangen rote Striemen. Den Revolver hielt er außerhalb ihrer Reichweite. Sie war noch immer begierig, ihn doch noch zu erhäschen.
Der verblüffte Mann packte sie von hinten. Später sollte er erzählen, daß es gewesen sei, als greife er nach einem Sack voll von Schlangen. Der Körper unter dem Morgenrock fühlte sich heiß und abstoßend an.
Während die Frau versuchte, sich zu
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