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Brennen Muss Salem

Brennen Muss Salem

Titel: Brennen Muss Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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in der Dunkelheit unterwegs ist, flattert das Gespenst von den Bäumen herab, ein gräßliches Gesicht, mit Treibsand bedeckt -«
    »Danny, hör auf. «
    Jetzt klang die Stimme des kleinen Bruders flehentlich, und Danny schwieg. Beinahe begann er sich selbst zu fürchten. Die Bäume waren dunkel, waren finstere Gestalten, die sich langsam in der nächtlichen Brise bewegten, aneinander rieben, ächzten.
    Zu ihrer Linken schnellte ein anderer Zweig zurück.
    »Danny, ich furcht' mich«, flüsterte Ralphie.
    »Sei nicht dumm«, sagte Danny, »komm.«
    Sie gingen weiter. Die Tannennadeln knisterten unter ihren Füßen. Danny sagte sich, daß er keine zurückschnellenden Zweige höre. Daß er nichts höre, außer ihren eigenen Schritten.
    In seinen Schläfen hämmerte das Blut. Noch zweihundert Schritte, und wir sind auf der Straße. Und wenn wir heimgehen, bleiben wir auf der Straße, damit sich der Kleine nicht fürchtet.
    In einer Minute werden wir die Straßenlampen sehen und werden uns dumm vorkommen, weil wir Angst hatten.
    Ralphie schrie auf.
    »Ich seh' es. Ich seh' das Gespenst! Ich seh' es!«
    Wie ein heißes Eisen durchfuhr Danny das Entsetzen. Am liebsten wäre er gelaufen, aber Ralphie klammerte sich an ihn.
    »Wo?« flüsterte Danny und vergaß, daß ja er es war, der das Gespenst erfunden hatte. »Wo?« Er blickte angestrengt in den Wald, fürchtete sich vor dem, was er sehen könnte - und sah nichts als Dunkelheit.
    »Jetzt ist es fort - aber ich sah es . . . ihn. Ich hab' Augen gesehen. Oh, Danny -« Er stammelte.
    Danny nahm den Bruder an der Hand, und sie gingen weiter.
    Dannys Beine schienen jetzt aus zehntausend Radiergummis zu bestehen. Seine Knie zitterten. Ralphie drängte sich eng an ihn heran und schob ihn beinahe vom Weg.
    »Es beobachtet uns«, flüsterte Ralphie.
    »Hör zu, ich werde nicht -«
    »Nein, Danny. Wirklich. Kannst du es nicht fühlen?«
    Danny blieb stehen. Und er fühlte tatsächlich etwas und wußte, daß sie nicht mehr allein waren. Eine große Stille hatte sich über den Wald gesenkt. Es war eine böse Stille. Vom Wind bewegte Schatten umfingen sie.
    Danny roch etwas Wildes. Aber nicht mit der Nase. Es gibt keine Gespenster, aber es gibt Perverse. Sie fahren in schwarzen Autos, bleiben stehen, bieten den Kindern Bonbons an, folgen ihnen in den Wald ...
    Und dann ...
    »Lauf«, befahl Danny heiser.
    Aber Ralphie stand zitternd neben ihm. Schreckgelähmt. Er umklammerte Dannys Hand. Seine Augen starrten in den Wald, und dann weiteten sie sich.
    »Danny?«
    Ein Ast knackte.
    Danny drehte sich um und sah dorthin, wo sein Bruder hinsah.
    Die Dunkelheit umfing ihn.

    21 Uhr.
    Mabel Werts war eine enorm fette Frau von vierundsiebzig Jahren, und ihre Füße waren bereits sehr unzuverlässig. Sie war eine Art von Archiv für alles, was die Stadt betraf, und ihr Gedächtnis reichte über fünf Jahrzehnte zurück – sie wußte um Todesfälle, Ehebruch, Diebstahl und Wahnsinn. Sie lebte in der Stadt und für die Stadt, und in einem gewissen Sinne verkörperte sie die Stadt; eine dicke Witwe, die jetzt nur noch selten ausging und die meiste Zeit am Fenster verbrachte, das Telefon in der einen, das japanische Fernglas in der ändern Hand. Die Kombination dieser beiden Dinge machte sie zu einer Spinne, die im Zentrum eines Kommunikationsnetzes saß, das sich über die ganze Stadt ausbreitete.
    Da sich nichts Besseres bot, hatte sie gerade das Marstenhaus beobachtet, als auf der linken Seite der Terrasse ein Fensterladen geöffnet wurde und ein goldener Lichtstrahl herausfiel, der ganz gewiß nicht von einer elektrischen Glühbirne stammte.
    Eine Sekunde lang sah Mabel den Kopf und die Schultern eines Mannes sich gegen das Licht abzeichnen. Eine merkwürdige Erregung überkam sie.
    Dann rührte sich nichts mehr im Marstenhaus.
    Was sind das für Leute, die sich so kurz zeigen, daß man sie nicht einmal richtig ansehen kann, dachte Mabel ärgerlich.
    Sie legte den Feldstecher weg und nahm das Telefon zur Hand. Zwei Stimmen unterhielten sich über den Ryerson-Jungen, der Puringtons Hund gefunden hatte.
    Mabel saß ganz still und atmete flach durch den Mund, um nicht zu verraten, daß sie mithörte.

    23 Uhr 59.
    Der Tag war am Verlöschen. Die Häuser schliefen in der Dunkelheit. Aus dem Excellent-Cafe fiel mildes Licht auf den Gehsteig. Dieser und jener lag daheim noch wach - Win Purington zum Beispiel legte eine Patience, weil ihn der Kummer um seinen toten Hund nicht schlafen ließ -, aber

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