Brennende Fesseln
der Lage, mich von ihm zu lösen. Ich folge ihm, wie Franny es vor mir getan hat, und kann nur abwarten, wie die Sache ausgehen wird.
Wir gehen wieder ins Bett, und wir schlafen beide unruhig. Um drei Uhr morgens wache ich auf und spüre, daß etwas anders geworden ist. Ich lausche auf die Geräusche in der Dunkelheit. Es ist der Wind. Ich höre das Stöhnen, mit dem er sich gegen die Fenster lehnt und wie ein Geist um Einlaß bittet. Äste streichen an der Hauswand entlang, und eine metallene Mülltonne fällt um und macht ein kratzendes Geräusch,
während der Wind sie hin und her rollt. Ich kuschle mich dichter an Ians schlafenden Körper, schlinge die Arme um seine Brust und halte mich an ihm fest.
31
Die Tage werden länger, der Sommer heißer. Ich habe weitere Fotos geschickt bekommen. Eines zeigt mich, wie ich mit der Sporttasche in der Hand den Fitneßclub verlasse, ein anderes, wie ich die Praxis des Arztes betrete, von dem ich mich einmal im Jahr durchchecken lasse. Ich habe Joe die Fotos gezeigt. Er hat sie auf Fingerabdrücke untersuchen lassen, aber abgesehen von meinen eigenen waren keine drauf. Er sagt, es könnte sich einfach um einen Streich handeln, rät mir aber nach wie vor, mich von M. fernzuhalten. Es ist ein unheimliches Gefühl zu wissen, daß man von jemandem beobachtet und durch die ganze Stadt verfolgt wird. M. bestreitet, irgend etwas von den Fotos zu wissen. Ich halte ständig nach ihm und seiner Kamera Ausschau, aber bisher ohne Erfolg. Die Augusthitze beeinträchtigt meine Wachsamkeit, verlangsamt mein Reaktionsvermögen.
Der Sommer ist die Jahreszeit, die ich am wenigsten mag. Für mich ist er etwas, das ertragen werden muß wie die schlechte Laune eines Freundes. Solange es unter dreißig Grad sind, macht mir die Wärme kaum etwas aus, und selbst Temperaturen über dreißig Grad kann ich ertragen, aber wenn es langsam auf die vierzig zugeht, beginne ich zu leiden. Die Klimaanlage läuft den ganzen Tag, und wenn ich nach draußen gehe, habe ich das Gefühl, von der Hitze erschlagen zu werden. Eigentlich sollte ich mich inzwischen an die Sommer in Sacramento und Davis gewöhnt haben, schließlich habe ich schon fünfunddreißig erlebt, aber dem ist nicht so. Wenn ich an den heißen Tagen eine einsame Straße entlangfahre, sehe
ich flimmernde Hitzewellen über dem Asphalt schweben, und eine Art Fata Morgana, die erst im Näherkommen schmilzt, läßt den schwarzen Teer vor meinen Augen sieden und Wellen schlagen. Wenn ich aussteige, dringt die Hitze durch jede Pore meiner Haut.
Ich schlafe schlecht, und in meinen Träumen überkommt mich ein beklemmendes Gefühl, als würde ich ertrinken. Morgens liege ich dann halb ohnmächtig im Bett. Ein Teil von mir möchte der verlockenden Bewußtlosigkeit nachgeben: Schlaf doch weiter, drängt mich eine innere Stimme. Steh nicht auf. Wozu denn? Und ich spüre, wie ich auf den Boden eines Wasserbeckens sinke wie ein fallendes Blatt. Aber kurz bevor ich den Grund erreiche, beginnt etwas in mir zu nagen – ich muß aufstehen, es gibt Dinge, die ich erledigen muß, oder etwa nicht? –, und dann beginnt der Kampf. Ich muß mich bis zur Oberfläche hinaufarbeiten, muß gegen das warme, behagliche, nasse Gefühl ankämpfen, das mich drängt, mich zu entspannen und in mein Schicksal zu fügen. Warum läßt du nicht einfach los? Erschöpft von dem Kampf, wache ich auf. Manchmal schnappe ich nach Luft, wenn ich die Oberfläche erreiche, und meine Lungen schmerzen, als hätte ich unter Wasser zu lange die Luft angehalten. Nach einem solchen Erwachen schlüpfe ich in meinen Bademantel und gehe in den Garten hinaus, wo ich tief durchatme, die kühle Morgenluft einsauge und barfuß durch das frisch gemähte Gras laufe, das vom Tau noch ganz feucht ist. Während ich so über den Rasen spaziere, weicht das panische, beklemmende Gefühl langsam von mir, weht einfach davon wie der Dampf aus einer Teekanne und wird immer dünner, bis es sich schließlich in nichts auflöst. Meistens ist die Sonne zu dem Zeitpunkt noch nicht aufgegangen, und alles – die Bäume, die Blumen, ja sogar das Gras – vermischt sich zu einem blassen, morgendlichen Grau, das eine beruhigende Wirkung auf mich hat. Oft setze ich mich dann auf die Hintertreppe und sehe mir den Sonnenaufgang an. Der Garten wird
immer heller, und die Schatten weichen den Farben des Tages. Der Rasen hat eine exakte Kontur, und die Büsche sind frisch getrimmt. In diesem Garten herrscht Ordnung. Hier
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