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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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draußen gibt es nichts Beklemmendes.
     
    M. ist früh aufgestanden und joggt. Ich stehe auf, ziehe mich an und fahre nach Hause. Frannys schwarzer Cadillac parkt immer noch am Randstein. Er ist von einer Staubschicht überzogen, und auf der Heckscheibe hat sich ein anonymer Schreiber mit den Worten Wasch mich verewigt. Ich hebe den Bee auf, der in der Einfahrt liegt, und gehe zum Briefkasten, um die Post von gestern rauszunehmen. Der Briefkasten steht um die Ecke, vor dem Nachbargarten, der zur anderen Hälfte des Doppelhauses gehört.
    Schnell sehe ich die Post durch und erkenne sofort das einfache Kuvert ohne Absender, das wie immer den Poststempel von Davis trägt. Noch im Gehen reiße ich den Umschlag auf und überlege, wo mich der Fotograf wohl diesmal auf Film gebannt hat. Vor meinem Haus? In der Apotheke? Aber in dem Umschlag steckt kein Foto, sondern nur ein Blatt weißes Papier mit den aufgeklebten Worten: »Du hast noch zwei Wochen, um deine Suche abzublasen – sonst bist du die nächste.« Ich bleibe stehen, starre auf das Blatt. Die Angst fährt wie ein Messer durch meine Brust. Die Buchstaben, offenbar aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, sind sauber in die Mitte des Blattes geklebt. Außer dem Blatt Papier ist nichts in dem Umschlag. Ich gehe ins Haus.
    Das Telefon klingelt, aber ich nehme nicht ab. Mein Anrufbeantworter  – der immer aktiviert ist, seit ich diese seltsamen Anrufe bekomme – schaltet sich ein, und ich höre eine Frau vom Sacramento Blood Center fragen, ob ich gern Blut spenden würde. Sie nennt eine Telefonnummer und legt auf.
    Sonst bist du die nächste . Was das heißen soll, ist klar. Ich rufe Joe Harris an und lese ihm die Nachricht vor.

    »Was werden Sie jetzt unternehmen?« frage ich ihn.
    »Wir werden das Blatt auf Fingerabdrücke untersuchen, aber ich bezweifle, daß wir welche finden. Dann kommt es in die Akte.«
    Obwohl in meinem Fall noch kein konkretes Verbrechen vorliegt, hat Joe eine Akte angelegt, als ich das erste Foto bekam.
    »Und das ist alles?« frage ich. »Sie wissen, daß es von ihm stammt.«
    »Nein, das weiß ich nicht. Es könnte genausogut von jemand anderem sein.«
    Bei unserem letzten Treffen im Paragon hat Joe mir erzählt, daß sie im Zusammenhang mit Frannys Ermordung gegen eine weitere Person ermitteln. Ich schweige eine Weile, dann frage ich: »Von wem?«
    Joe seufzt. »Danach brauchen Sie mich gar nicht erst zu fragen. Eigentlich sollten Sie mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun haben. Wenn Sie sich wegen des Zettels Sorgen machen, ergreifen Sie die üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Ändern Sie Ihre Gewohnheiten, gehen Sie nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr spazieren, lassen Sie in Ihrem Haus eine Alarmanlage einbauen, kaufen Sie sich einen Hund.«
    Ich lege auf.

32
    Ich bin allein in M.s klimatisiertem Haus. Ich gehe von Raum zu Raum, und trotz meines gespaltenen Verhältnisses zu dem Mann spüre ich eine schwache Spannung durch meine Gliedmaßen fließen, eine Unterströmung verbotener Erregung. Sein Haus: Nie zuvor war ein unbelebtes Objekt für mich so erotisch aufgeladen. Ich denke an das, was wir hier getan haben und noch tun werden, und meine Vorfreude wächst. Ich werde
schon feucht, wenn ich bloß daran denke. Sexuell begehre ich M., wie ich noch nie einen Mann begehrt habe.
    Lust. Sie steigt in mir auf, und sie ist nie rein oder einfach, sondern aus Verzweiflung, Schmerz, Sorge und Schuld geboren  – ja, da ist sie wieder, die Schuld –, und sie bringt mich dazu, die Hand nach M. auszustrecken und mich ihm freiwillig zu unterwerfen. In der sadomasochistischen Ekstase von Lust und Schmerz, im Schatten von M.s Herrschaft, empfinde ich meine Schuld weniger stark. Und unter seinem Einfluß erwachen neue Gelüste in mir. Es ist, als würde man eines Tages die Augen öffnen und eine völlig neue Dimension des Sehens entdecken – man muß sich alles ansehen, man erfährt jeden optischen Sinneseindruck neu, die visuelle Wahrnehmung ist geschärft, der Hunger nach immer neuen Reizen unersättlich. Ich befinde mich mit meiner Lust auf einer Gratwanderung. Ich kenne die Gefahren, aber ich sehne mich nach nichts anderem. Ich bin bereit, für diese läuternde Leidenschaft alles aufs Spiel zu setzen – Ian, meine Selbstachtung, mein Leben. Mir ist klar, daß diese Opferbereitschaft kein bewundernswerter Zug ist. Ich weiß um den Wahnsinn meines Handelns, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich bin aus einer Welt in eine andere

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