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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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Wochen mit ihr gesprochen – und da war sie bestimmt noch nicht schwanger, ihr Bauch war flach wie ein Brett –, aber anscheinend sind seitdem fünf oder sechs Monate vergangen.
    »Na so was«, sage ich, immer noch erstaunt. Dann spüre ich plötzlich wieder diesen Stich, diesen kleinen, traurigen Schmerz im Herzen, den ich immer spüre, wenn eine andere Frau ein Baby bekommt. »Das ist ja wunderbar. Wünschen sie sich einen Jungen oder ein Mädchen?«
    »Einen Jungen. Es wird ein Junge. Sie hat einen Test machen lassen, und der Arzt sagt, es wird ein Junge.«

    Ein Junge, denke ich. Das hat die Welt gerade noch gebraucht. Einen weiteren Jungen. Der Süden von Davis erlebt neuerdings eine Jungenschwemme. Das Paar, das in der anderen Hälfte meines Doppelhauses lebt, hat erst letzten Monat einen Jungen bekommen (den zweiten), und vor zwei Wochen hat die Frau, die in dem blauen Tudor-Haus gegenüber wohnt, ebenfalls einen Jungen geboren (ihren vierten). In beiden Fällen hatte ich nicht einmal gewußt, daß die Frauen überhaupt schwanger waren. Ann Marie hat mich über die Geburten informiert. Offenbar weiß sie nicht, daß Richard und Abby ein Baby bekommen. Einen Jungen. Was ist bloß aus den kleinen Mädchen geworden? denke ich. Und warum sollte sich irgend jemand vier Jungen wünschen? Aber ich kenne die Antwort auf diese Frage.
     
    Ich fahre nur mehr nach Sacramento, wenn es sich absolut nicht vermeiden läßt. Die Wahrheit ist, daß die ständige Auseinandersetzung mit dem Tod und das Zweiwochenultimatum mich zitterig gemacht haben. Ich lebe in einer kleinen Welt innerhalb der Stadtgrenzen von Davis, und wenn ich über den Yolo Causeway fahre, habe ich das Gefühl, meinen Zufluchtsort zu verlassen und mich auf fremden Boden zu begeben. Meinen Zufluchtsort! Ich muß selbst lachen. Mein Leben in Davis, mein Leben mit M. ist alles andere als sicher. M. bietet mir keinen Schutz. Trotzdem ist mir Sacramento fremd geworden. Es steht für das Leben, das ich aufgegeben habe, und wenn ich über die Tower Bridge fahre, fühle ich mich jedesmal wie eine abtrünnige Tochter, die nach langer Abwesenheit heimkehrt und feststellen muß, daß sie sich im eigenen Land inzwischen wie eine Fremde fühlt, unbehaglich und ein bißchen ängstlich. Diese Stadt und mein früherer Lebensstil gehören nicht mehr zu mir.
    Ian hat eine Eigentumswohnung in der Innenstadt. Ich fahre den Capitol Mall Boulevard hinauf und biege am Regierungsgebäude
mit der goldenen Kuppel rechts ab. Ian wohnt nur ein paar Blocks südlich in einer schattigen, von Ulmen gesäumten Straße. Ich parke am Randstein und gehe zu seinem Haus hinüber, einem braunen, stuckverzierten Gebäude mit efeuüberwucherten Mauern. Der Gehsteig ist schon so alt, daß er Sprünge hat, und aus igendeinem Grund fühle ich mich bei diesem Anblick weniger fremd.
    Ich klingle an der Haustür und warte darauf, daß mir Ian aufmacht. Er hat mir einen Schlüssel gegeben, aber ich habe ihn noch nie benutzt. Er verstand das als symbolische Geste – wir haben uns selten in seinem Haus getroffen –, aber ich weiß, daß er hoffte, unsere Beziehung würde dadurch enger werden. Es hat nicht so funktioniert, wie er sich das vorgestellt hatte. Seit dem Tag, an dem ich dahinterkam, daß Ian mit Franny im Bett war – sogar schon eher, seit dem Tag, an dem ich zum ersten Mal mit M. schlief, haben sich unsere Wege immer deutlicher getrennt. Es gab keinen großen Streit, keine dramatische Trennung, eher ein allmähliches Nachlassen. Aus drei Tagen, an denen wir uns nicht sahen, wurden vier, aus vier Tagen fünf und so weiter. Irgend etwas ist zerbrochen, und jetzt steht ein Gefühl des Unbehagens zwischen uns. Unsere Beziehung hat einen Riß bekommen, den wir nicht mehr kitten können. Der Schlüssel bleibt ein Symbol, aber inzwischen steht er mehr für Versagen als für Hoffnung. Es wäre fast schon anmaßend von mir, ihn in diesem Stadium unserer Beziehung zu benutzen.
    Ich spähe durch die Glaseinsätze seitlich der Tür. Ich sehe Ian auf mich zukommen. Er blickt zu Boden und wirkt zerstreut. Er trägt seine Lesebrille, das blonde Haar hängt ihm wirr in die Stirn, und er hat ein Bündel loser Blätter unter den Arm geklemmt. Er öffnet die Tür. Als er mich sieht, huscht ein Anflug von Überraschung und Unmut über sein Gesicht, den er sofort mit einem Lächeln kaschiert. Aber es ist zu spät. Ich habe gesehen, wie unangenehm es ihm ist, mich zu sehen.

    »Nora«, sagt er und schlägt

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