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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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sich nervös mit der Mappe gegen das Bein.
    »Hallo. Ich war gerade in der Gegend.«
    »In der Gegend«, wiederholt er und lächelt ein bißchen, weil wir beide wissen, daß das gelogen ist.
    Er hat mich noch immer nicht hereingebeten. »Ich mußte dich unbedingt sehen«, sage ich.
    Er weicht einen Schritt zurück. Ich gehe durch die Diele ins Wohnzimmer. Seine Wohnung ist hell und luftig, mit Deckenventilatoren und kalkweißen Wänden, die immer noch kahl sind. Nur an einer hängt ein Bild von einem Kuhschädel, ein Druck von Georgia O’Keeffe. Während ich mich auf der Couch niederlasse, kommt eine kräftige, grauhaarige Frau um die Fünfzig herein. Sie trägt einen grünen Plastikeimer mit Putzutensilien – einer Flasche Ajax, mehreren Schwämmen, einer Toilettenbürste. Ich nehme an, daß es sich um Pat handelt, die Putzfrau, die er kürzlich mal erwähnt hat.
    »Ich bin fertig, Ian«, erklärt sie laut und fröhlich. Als sie mich entdeckt, fügt sie hinzu: »Oh, tut mir leid. Ich wußte nicht, daß Sie Besuch haben.«
    Ian stellt mich als seine Freundin vor. Wir tauschen ein paar höfliche Floskeln aus. Dann nimmt sie einen Scheck vom Tisch, packt ihre Putzsachen zusammen und sagt im Gehen, daß sie nächste Woche wiederkommen werde. Nachdem sie weg ist, herrscht peinliches Schweigen zwischen uns.
    »Woran arbeitest du gerade?« frage ich endlich und deute auf die Papiere in seiner Hand.
    »Du meinst das hier?« fragt er und hält die Blätter geistesabwesend hoch. »Ach, nicht der Rede wert. Ich arbeite heute zu Hause. Das sind bloß…« Ohne den Satz zu Ende zu sprechen, wirft er die Blätter auf den Wohnzimmertisch – auf dem schon mehrere Messer und drei kleine Holzblöcke herumliegen  – und läßt sich mir gegenüber nieder. In scharfem Ton fragt er: »Warum bist du hier?«

    Ians Gesicht wirkt so bekümmert, daß ich am liebsten die Hand ausstrecken und seine Stirn glattstreichen würde. Aber ich tue es nicht. Die Risse in unserer angeschlagenen Beziehung lassen eine so vertrauliche Geste nicht zu: es wäre zu kühn.
    Ich konzentriere mich auf seine Frage. Warum bin ich hier? »Das weiß ich selbst nicht«, antworte ich seufzend. »Jedenfalls nicht genau.« Ich halte inne, um meine Gedanken zu ordnen, und fange noch einmal von vorne an. »Wir sehen uns kaum noch. Fast gar nicht mehr. Ich weiß, daß das größtenteils meine Schuld ist. Ich kann es dir nicht verübeln, daß du mich nicht mehr sehen willst. Ich weiß, daß ich in letzter Zeit ein richtiges Biest war.« Ich atme tief durch und sage: »Aber ich liebe dich noch immer.«
    Als Ian mir keine Antwort gibt, lasse ich den Kopf sinken und starre auf meinen Schoß. Leise sage ich: »Ich werde es schon irgendwie auf die Reihe kriegen. Aber ich brauche das Gefühl, daß du für mich da bist. Daß du auf mich wartest.« Ich höre das weinerliche Flehen in meiner Stimme. Ich sehe zu Ian hinüber. »Ich bringe dieses Chaos wieder in Ordnung. Ganz bestimmt.«
    Er hat mir stumm zugehört, aber jetzt wirkt er noch bekümmerter als vorher. Ich beuge mich vor, nehme seine Hand und sage: »Ich werde es schaffen, Ian. Das verspreche ich dir. Ich brauche einfach noch Zeit. Ich kann dir nicht erklären, was los ist. Aber ich bringe es wieder in Ordnung. Ich werde einen Weg finden.«
    Er entzieht mir seine Hand. Sanft sagt er: »Du kannst es nicht mehr in Ordnung bringen, Nora. Was auch immer zwischen uns war, es ist vorbei. Und das liegt nicht nur an dir. Ich bin genauso schuld.«
    Ich kann nicht anders – ich strecke noch einmal die Hand aus und berühre seine Wange. Sie ist so weich und glatt und rein. »Oh, Ian. Du trägst überhaupt keine Schuld. Du warst
immer wundervoll zu mir. Es tut mir so leid, daß ich wegen Frannys Tod an dir gezweifelt habe. Du bist so …«
    »Hör auf!« Er steht abrupt auf und beginnt, mit finsterer Miene auf und ab zu gehen. Er wirkt aufgewühlt und schuldbewußt. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Er kommt zurück und setzt sich wieder hin. »In bin nicht der wundervolle Mensch, den du aus mir machst. Ich bin ein ganz normaler Mann, Nora, ich habe Schwächen und Fehler wie jeder andere auch. Und zur Zeit – jetzt und hier, Nora – komme ich mit deinen Problemen nicht klar. Ich bin dem einfach nicht gewachsen.«
    Er geht zum Wohnzimmerfenster hinüber und sieht hinaus. Mit dem Rücken zu mir sagt er leise: »Ich liebe dich auch.« Dann noch leiser: »Mein Gott, Nora, ich liebe dich noch immer. Aber ich brauche etwas

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