Brennende Fesseln
hättest dich zu Tode gelangweilt. Du hättest ihn unglücklich gemacht und am Ende alles gehaßt, wofür er stand.«
Er drapiert seinen Arm über die Rückenlehne des Sofas und
schlägt die Beine übereinander. Er trägt ein leichtes Kurzarmhemd und eine braune Hose aus Gabardine. In ruhigem und, wie ich finde, herablassendem Ton spricht er weiter.
»Beziehungen sind etwas Schwieriges, Nora. Und was mich betrifft – ich mache dir schreckliche Angst.« Er wechselt seine Sitzposition. »Deine Schwester hatte auch Angst vor mir, aber sie ist nie vor mir zurückgewichen. Auf ihre eigene Art war sie ziemlich furchtlos. Sie haßte, was ich ihr antat, aber sie wollte mich, und sie hatte genug Mut, das Ganze bis zum Ende durchzuziehen. Du liebst, was ich dir antue, aber du kannst es nicht zugeben. Dich muß ich ständig beruhigen, um dir die Angst zu nehmen. Und was Ian und die anderen Männer betrifft, mit denen du zusammen warst – du hast sie dir ausgesucht, weil sie dir Sicherheit boten und dich kein bißchen forderten. Es wird Zeit, daß du erwachsen wirst, Nora. Es wird Zeit, daß du anfängst, dich mit den Männern auseinanderzusetzen.«
»Und was ist mit dir?« frage ich hitzig. »Du bist doch auch nicht anders. Du hast eine Frau nach der anderen.«
»Bei mir ist das etwas ganz anderes«, sagt er ruhig. »Ich habe keine Angst vor Frauen, und habe keine Angst, mich auf eine Beziehung einzulassen. Wenn ich eine Frau nach der anderen ficke, dann deswegen, weil ich es so will – und nicht, weil ich Angst habe, etwas zu riskieren. Du lebst nicht in der Gegenwart, Nora. Ich habe, was du brauchst, aber du bist zu ängstlich, um es mit offenen Armen anzunehmen. Du glaubst, wenn du vor mir die Augen verschließt, wird ein Besserer des Weges kommen.« Er lehnt sich vor. »Wir passen perfekt zusammen, Nora, aber du lebst entweder in der Zukunft, weil du zu ängstlich bist, dich der Gegenwart zu stellen, oder reitest auf all deinen alten Dämonen herum, weil du Angst hast, dein Leben weiterzuleben. Du hältst dich für weltgewandt und kultiviert, aber du bist viel ängstlicher als Franny. Du bist einfach eine ängstliche kleine Seele.«
Inzwischen koche ich vor Wut. Ich kann richtig spüren, wie mir die Zornesröte in die Wangen steigt. Gleich werde ich explodieren.
Aber ich explodiere nicht. M. hat schon wieder recht. Ich habe keine Ahnung, wer ich bin. Es ist, als würde er mir einen Spiegel vorhalten – und was ich sehe, gefällt mir nicht.
Verstört über diese Erkenntnis, wechsle ich das Thema.
»Hast du Franny getötet?« frage ich, unfähig, meine Verzweiflung zu verbergen. Ich habe es längst aufgegeben, so zu tun, als wäre ich M. gewachsen. Ich bin es nicht. Inzwischen will ich nur noch die Wahrheit wissen. »Ich muß es wissen. Ich muß es einfach wissen. Selbst wenn du es warst, kann ich dir nichts anhaben. Es existieren keinerlei Beweise. Dein Wort wird gegen meines stehen. Du wirst nie ein Gefängnis von innen sehen. Aber ich muß wissen, ob du sie getötet hast und wie du es getan hast und warum. Sag mir einfach die Wahrheit. Bitte… sag es mir.«
M. beugt sich zu mir herüber und streichelt meine Hand. »Oh, Nora«, sagt er weich, fast traurig. »Wann wirst du endlich die Augen aufmachen? Ich kann es nicht beweisen, aber Ian kommt am ehesten als ihr Mörder in Frage.«
Ich schüttele den Kopf. »Er hatte sie sechs Monate nicht mehr gesehen, als sie starb. Und er hatte keinen Grund, sie zu töten.«
»Es muß nicht immer einen Grund geben. Außerdem hat er dich schon einmal angelogen. Er hätte das mit Franny nie erwähnt, wenn ich dir nicht gesagt hätte, daß die beiden sich kannten. Vielleicht hat er dich auch in anderen Punkten angelogen. Woher willst du wissen, daß er sie tatsächlich sechs Monate nicht mehr gesehen hatte?«
»Er hat es mir erzählt.«
»Und du hast ihm geglaubt?« Ich höre den Zynismus in seiner Stimme.
»Ja.«
»Ich verstehe«, sagt er. Dann fügt er hinzu: »Glaubst du, daß du überhaupt fähig bist, Ian objektiv zu beurteilen? Du ignorierst sämtliche Fakten, die ihn verdächtig erscheinen lassen. Er war mit Franny im Bett, er hat dir verschwiegen, daß er sie kannte, kurz nach ihrem Tod hängt er sich wie eine Klette an dich, und jetzt, wo er gemerkt hat, daß du ihn verdächtigst – nachdem du ihn gefragt hast, wo er an dem Tag war, an dem Franny starb –, zieht er sich von dir zurück. Glaubst du nicht, daß Detective Harris das interessant finden
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