Brennende Fesseln
entschlossenen Blick angesehen. Anschließend hatte er sie herumgedreht und seinen Körper gegen ihren gedrängt, seine Lenden gegen ihren Hintern gepreßt, bis sie das Gefühl hatte, ein Teil seines Körpers zu sein. In seinen starken Armen war sie sich schlank, anmutig und begehrenswert vorgekommen, und sie hatte sich gewünscht, immer so in seinen Armen zu liegen, mit seinem Körper verschmolzen, sicher in ihrer Liebe. Aber dann hatte er ihren Oberkörper nach unten gedrückt, ihre Pobacken auseinandergeschoben und war grob in sie eingedrungen. Sein seifiger Penis war glitschig und hart gewesen, und er hatte ihren Körper gedreht und gewendet, wie es ihm paßte, und währenddessen immer nur gesagt, sie solle cool bleiben. Obwohl sie vor Schmerzen stöhnte, hatte er sie noch fester gepackt, genauso brutal weitergemacht und sie im Befehlston aufgefordert, sich zu entspannen. Verwirrt und wund, hatte sie sich gefragt, was sie da eigentlich tat, in gebückter Haltung zwischen die gefliesten Wände der Dusche gezwängt, und als er endlich fertig war und – immer noch in ihr – die Arme um sie schlang und sie festhielt, ihren Nacken küßte und mit süßer, liebevoller Stimme sagte: »Manchmal wird es so sein, Baby. Manchmal mag ich es hart, und du wirst einfach lernen müssen, es auszuhalten«, hatte sie sich gefragt, ob das tatsächlich Liebe sein konnte.
Sie putzte sich die Zähne, zog frische Sachen an und fuhr zu
Michaels Haus. Als er die Tür öffnete, hatte er ein schnurloses Telefon in der Hand und sprach mit jemandem. Er trug eine Kordhose und einen burgunderfarbenen Lambswoolpulli, und er machte einen erschöpften Eindruck. Sein dunkles Haar wirkte leicht zerzaust und fiel ihm widerspenstig in die Stirn. Mit einem müden Lächeln winkte er sie herein, und sie folgte ihm in sein Arbeitszimmer, einen großen, langgestreckten Raum mit eleganten Möbeln und hohen Bücherschränken. Am einen Ende des Raumes stand ein schwarzes Klavier, am anderen eine Couch und sein Schreibtisch. Er setzte sich auf die Couch und telefonierte weiter. Franny streifte ihren Mantel ab, wanderte im Zimmer herum und sah sich die Titel der Bücher an. Sein Schreibtisch stand gleich neben den Bücherschränken. An der Wand hing ein gerahmtes Bild von seinen Eltern, und etwas weiter oben war das Schwert seines Vaters angebracht, ein stählernes Entermesser, fast einen Meter lang, mit einem stabilen Heft aus verziertem Messing und einem Holzgriff. Sein Vater hatte die Waffe im Zweiten Weltkrieg benutzt. Er war bei der Marine gewesen, hatte Michael ihr erklärt, und 1944 hatte seine Mannschaft ein deutsches U-Boot gekapert und geentert – das letzte Mal, daß die Marine offiziell Entermesser einsetzte. Rund um das Schwert waren Fotos von seinen Tanten, Onkeln und Großeltern aufgehängt. Franny beneidete ihn um seine Familiengeschichte. Sie selbst hatte ihre Großeltern nicht gekannt; sie waren alle schon gestorben, als sie auf die Welt kam.
Michael ließ sich auf die Couch zurücksinken und legte seine Füße auf die Kissen. Offenbar redete er mit einem Freund in San Francisco. Sie besprachen gerade, wann sie sich Freitag abend im Fisherman’s Wharf treffen sollten. Franny glaubte nicht, daß er sie einladen würde mitzukommen. Sie setzte sich an seinen Schreibtisch, der mit Blättern übersät war. Er gab dieses Semester ein Seminar über Musiktheorie und war damit beschäftigt gewesen, die Essays seiner Studenten
zu korrigieren. Sie nahm das oberste Blatt und las: »Dvořáks Symphonie Aus der Neuen Welt ist eine Kombination aus amerikanischem und böhmischem Themenmaterial. Sie wurde in der musikalischen Sprache Böhmens geschrieben, durchdrungen vom musikalischen Temperament Dvořáks, erfüllt vom Geist Amerikas.« Franny legte das Blatt weg. Seit sie miteinander schliefen, sprach Michael nicht mehr über seine Studenten, seine Arbeit oder seine Musik. Wenn sie ihn danach fragte, ließ er sie jedesmal abblitzen. Er dagegen wußte alles über sie. Längst war er nicht mehr damit zufrieden, sie schweigen zu lassen. Er entlockte ihr persönliche Details über ihre Eltern und Billy und darüber, wie sie gestorben waren, über Nora, über ihren One-Night-Stand mit einem namenlosen Reporter vom Bee. Er wollte wissen, wie der Mann sie geküßt hatte, wie er sie geliebt hatte, was sie für ihn getan hatte. Er wollte Einzelheiten hören. Nackte Tatsachen. Aber wenn die Rede auf sein Leben und seine Beziehungen kam, hielt er sich
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