Brennende Fesseln
Zuhörer, während du ihm kaum noch Beachtung geschenkt hast. Er konnte einfach nicht verstehen, warum du dich immer mehr von ihm abgewandt hast. Er konnte nicht verstehen, warum du nicht mehr mit ihm
schlafen wolltest. Der arme Ian. Er war völlig durcheinander. Als er das letzte Mal hier war – ein paar Tage bevor ihr euch getrennt habt –, gab ich ihm einen Scotch, und er schüttete mir sein Herz aus. Wirklich rührend.« M.s Ton ist sarkastisch, seine Stimme trieft vor geheucheltem Mitleid. »Ich habe ihm noch einen Drink gemixt und ihm erklärt, daß du ihn gar nicht verdient hättest. Er hat gesagt, er wünschte, er könnte mit dir genauso gut reden wie mit mir.« M. wirft einen Blick auf seine gefesselten Handgelenke, ehe er sich wieder mir zuwendet.
»Nun, den Rest kannst du dir denken. Eins führte zum anderen. Ein kleiner Kuß, eine kleine Umarmung. Ich erklärte ihm, daß ich mich ihm sehr verbunden fühlte und ihn wie einen Bruder liebte. Er antwortete, daß es ihm genauso gehe. Als ich meine Hand auf seinen Schwanz legte, zögerte er erst ein bißchen, aber dann wurde er so hart, daß ich nicht lange reden mußte, bis er sich von mir einen blasen ließ. Noch ein paar Drinks, und er wurde immer lockerer. Dazu kam, daß er dich schon eine ganze Weile nicht mehr gefickt hatte. Du glaubst nicht, wie geil er war. Ich nehme an, man könnte sagen, daß du Ian schnurstracks auf meinen Schoß getrieben hast. Ich behielt ihn die ganze Nacht da. Und ich sorgte dafür, daß er immer genug intus hatte, um willig zu bleiben. Ich brachte ihn dazu, mir einen zu blasen, und besorgte es ihm in den Hintern. Dein Ian ist auch nicht mehr die süße Jungfrau, die er mal war.«
Ich schweige weiter. Ich weiß, daß er die Wahrheit sagt.
»Der arme Junge war schrecklich durcheinander. Am nächsten Morgen verschwand er, bevor ich aufwachte. Schlechte Manieren, wenn du mich fragst – er hat mir nicht einmal einen Abschiedskuß gegeben. Am nächsten Tag hat er mich angerufen und mir erklärt, daß das Ganze ein großer Fehler gewesen sei. Er hat sich bei mir entschuldigt und gesagt, daß es ihm leid tue und daß er meine Zuneigung nicht erwidern könne. Was für ein Witz! Der Idiot hat nicht mal gemerkt, daß ich ihn vorsätzlich
verführt habe.« M. lacht verächtlich. »Er hat sich fast in die Hose gemacht, weil er glaubte, meine Gefühle verletzt und mir falsche Hoffnungen gemacht zu haben.«
Endlich fühle ich mich wieder in der Lage zu sprechen. Ich weiß, daß er die Wahrheit sagt, aber ich habe Schwierigkeiten, diese Wahrheit zu akzeptieren. Ich weiß nicht, warum. Schließlich hat er Franny getötet – da dürfte es mich eigentlich nicht überraschen, daß er auch noch Ian eiskalt verführt hat. »Warum?« frage ich. »Warum hast du das getan?«
»Ich wollte nicht, daß ihr euch weiter seht. Du hast mir ständig erzählt, was für ein wunderbarer Mann er ist. Nun – da hast du deinen ehrlichen, edelmütigen Ian. Er hat lieber mit dir Schluß gemacht, als dir die Wahrheit zu sagen. Genau, wie ich es vorhergesehen hatte.«
Er hat gar nicht mit mir Schluß gemacht, denke ich. Ich habe es zunächst so aufgefaßt, aber in Wirklichkeit wollte er nur eine Weile allein sein, um in Ruhe über das nachdenken zu können, was zwischen ihm und M. passiert war.
»Es bestand doch gar kein Grund dazu«, sage ich. »Ian und ich hatten uns deinetwegen sowieso schon auseinandergelebt. Es war nur noch eine Frage der Zeit; irgendwann hätten wir uns sowieso getrennt. Du hättest nicht mit ihm ins Bett gehen müssen. Es bestand überhaupt kein Grund dazu.«
Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen – wegen Ian, meinetwegen, vor allem aber wegen Franny. »Es bestand kein Grund«, wiederhole ich, »überhaupt kein Grund.« Doch dann wird mir klar, daß M. gar keinen Grund brauchte. Er hat es aus Trotz getan, aus Bosheit. Und genau deswegen erzählt er mir die Geschichte jetzt. Er ist rachsüchtig, er möchte mir so weh tun wie nur irgend möglich. Es steht nicht in meiner Macht, den Schaden wiedergutzumachen, den er Ian zugefügt hat, aber ich kann wenigstens Franny rächen. Er glaubt, daß ich ihn wegen ihres Todes nicht zur Rechenschaft ziehen kann, aber das ist ein Irrtum. Ein tödlicher Irrtum.
»Es bestand sehr wohl ein Grund«, sagt er. »Ich war gezwungen, mit ihm ins Bett zu gehen.« Er legt den Kopf schräg, genießt seinen Triumph. Dann fährt er fort: »Ein kleines Detail habe ich ausgelassen: Ich habe
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