Brennende Fesseln
ihn.
»Das habe ich nicht gewußt. Als die Zeitungen schrieben, die Ursache ihres Todes sei unklar, war ich der festen Überzeugung, daß die Polizei absichtlich Informationen zurückhielt. Ich nahm an, daß dir und der Polizei bekannt war, wie sie gestorben war. Ich hatte keine Ahnung, daß die Sache alle vor ein Rätsel stellte.«
Er hatte keine Ahnung. Der Gerichtsmediziner war völlig ratlos, und M. wußte nicht einmal, daß er die Behörden vor ein Rätsel gestellt hatte. »Du bist sehr gewissenhaft vorgegangen«, sage ich, und mein ruhiger Tonfall gibt mir zu denken. Die ganze Zeit war ich wie besessen von Frannys Tod, und jetzt, da ich die Antworten auf meine Fragen habe, bin ich unfähig, darauf zu reagieren. Fast kommt es mir so vor, als sei ich über die Tatsache, daß ihr Tod ein Unfall war, enttäuscht – als würde die Realität meinen Vorstellungen von einem kaltblütigen Mord nicht gerecht.
»Die Polizei hat keine Fingerabdrücke von dir gefunden«, sage ich. »Keine Haare, keine Teppichfasern von deinen Schuhen. Wie hast du das hingekriegt?«
»Es war reines Glück, ganz einfach. Nichts als Glück. Als ich zu ihr fuhr, ging gerade ein Frühlingsschauer nieder.« Wieder lacht er nervös. »Fast schon ein Gewitter, für die Jahreszeit völlig untypisch. Es war bitterkalt, und die Dachrinnen flossen über. Bevor ich losfuhr, zog ich meine Gummistiefel und meinen Regenmantel an. Und ich setzte einen Hut auf. Den Regenmantel und die Stiefel hatte ich immer in der Garage aufbewahrt, um keine Nässe und keinen Schmutz ins Haus zu tragen. Da ich die Stiefel noch nie im Haus angehabt hatte, klebten an den Sohlen auch keine Fasern von meinem Teppich. Und Fingerabdrücke gab es deswegen keine, weil ich die ganze Zeit Handschuhe trug. Als ich bei Franny eintraf, vertauschte ich als erstes meine Wollhandschuhe mit Gummihandschuhen. Auch das war reines Glück – ich war nicht auf die Idee gekommen, mir wegen irgendwelcher Fingerabdrücke Gedanken zu machen. Ich hatte oft Latexhandschuhe getragen, wenn ich Franny bestrafte. Es war ein psychologischer Schachzug, der sie einschüchtern sollte. Sie sollte mit dem Schlimmsten rechnen. An dem Tag gab es allerdings noch einen Grund. Ich wußte, daß ich sie schneiden würde, wenn sie nicht klein beigab. Ich wollte mich nicht blutig machen,
deswegen zog ich die Handschuhe an. Was die fehlenden Haare betrifft – ich habe weder den Mantel noch den Hut abgelegt. Ich hatte nicht vor, länger als ein paar Minuten zu bleiben. Ich wollte sie ja bloß erschrecken. Trotzdem saugte ich hinterher den Teppich sehr gründlich, um sicherzustellen, daß ich keine Haare hinterließ. Dann wechselte ich den Staubsaugerbeutel und steckte den gebrauchten in meinen Matchsack. Ich sah mich ein letztes Mal im Raum um – alles schien in Ordnung zu sein. Dann fiel mein Blick auf Franny. Sie trug Billys Krankenhausarmreif am Handgelenk. Ich weiß nicht, warum, aber ich nahm ihn ihr ab und steckte ihn in meine Tasche. Als ich nach Hause kam, zog ich alle meine Sachen aus. Ich warf alles in eine große Tüte – Klamotten, Skalpell, Stiefel, Handschuhe, Schock-Box, Staubsaugerbeutel, alles, bis auf das Klebeband und den Armreif – und ließ die Tüte verschwinden. Das Klebeband und den Armreif vergrub ich im Garten. Ich weiß nicht, warum ich die Sachen behielt – als Erinnerung daran, was ich getan hatte, nehme ich an. Die Klebebandrolle, die du in meinem Schrank gefunden hast, war eine andere. Ich habe noch ein paar Dinge von ihr behalten – den Pulli, die Brille, die Ohrringe, ein paar Fotos, das Video mit Rameau –, aber als ich anfing, mich mit dir zu treffen, habe ich die Sachen mit ins Büro genommen. Jedenfalls gab es keine Beweise, nichts, was mich mit dem Mord an Franny in Verbindung gebracht hätte. Ich wußte, daß ich in ihrem Tagebuch erwähnt werde, und habe überlegt, ob ich ihre Disketten verschwinden lassen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Ich würde mich dadurch nur verdächtig machen, vor allem, wenn die Polizei irgendwo in ihrer Wohnung weitere Kopien fand. Ein Psychopath würde sich nicht die Mühe machen, Computerdisketten zu stehlen. Außerdem ist auf den Disketten nichts, was mich überführen konnte. Sie beweisen nur, daß ich eine Vorliebe für harten Sex habe. Und daß Franny freiwillig mitgemacht hat.«
Nachdenklich richtet er seinen Blick in die Ferne, auf den Raum jenseits der Tür. Als er sich mir wieder zuwendet, sagt er: »Wenn es an
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