Brennende Fesseln
gefunden.« Er entspannt sich etwas, lehnt sich gegen die Theke. Ein Lächeln beginnt sich auf seinem Gesicht auszubreiten. »Ich hätte dir Hühnersuppe gebracht.«
Ich gehe zu Ian hinüber und schlinge die Arme um ihn. Ich
drücke ihn an mich, lehne mich gegen ihn, drücke ihn noch fester. Das ist der Mann, mit dem ich zusammensein möchte. Er ist verläßlich und liebevoll. Er gibt mir, was ich brauche.
Sanft schiebt Ian mich weg. »He«, sagt er mit besorgter Stimme. »Alles in Ordnung?« Fragend sieht er mich an.
Ich nicke. »Ja. Ich schätze, ich bin bloß müde.«
»Was du brauchst, ist ein bißchen liebevolle Pflege – und die hättest du längst haben können, wenn du mir erlaubt hättest rüberzukommen.« Er führt mich ins Wohnzimmer und schaltet die Ecklampe an. Wir setzen uns auf die Couch. In der Lampe sind nur Vierzigwattbirnen, drei an der Zahl, und sie spenden ein sanftes bernsteinfarbenes Licht, das sich am anderen Ende des Raumes zu samtiger Schummerbeleuchtung abschwächt. Auf dem Couchtisch wartet Ians letzte Schnitzarbeit – ein unvollendeter Skorpion –, und daneben liegen mehrere scharfe Messer und Meißel. Ich lege die Beine hoch, lehne mich zurück und lasse meinen Kopf auf seinen Schoß sinken. Sein massiger Körper gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich kuschle mich noch näher an ihn, weil ich mir wünsche, von seiner Schwere wie von einem Anker festgehalten zu werden.
»Ich meine es ernst, Nora«, sagt er. »Du kannst doch nicht einfach sagen, daß ich wegbleiben soll, bloß weil du krank bist. Wenn ich mal eine Grippe habe, sagst du dann zu mir: Ruf mich wieder an, wenn es dir bessergeht; solange du krank bist, will ich dich nicht sehen?«
»Nein.«
»Na, siehst du. Dann sag auch nicht zu mir, daß ich wegbleiben soll. Schließ mich nicht so aus deinem Leben aus.«
Ich vergrabe meinen Kopf in seinem Schoß, damit ich ihm nicht ins Gesicht sehen muß. Seine Fürsorglichkeit bewirkt, daß ich mich wegen M. noch schuldiger fühle. »Ich schätze, ich bin keine besonders gute Freundin«, sage ich.
Er streichelt mein Haar, und seine Stimme wird weicher.
»Du bist schon richtig«, sagt er, und ich weiß, daß er es ernst meint. »Genau richtig«, flüstert er und fährt fort, mein Haar und mein Gesicht zu streicheln. Seine Hände sind so groß, seine Finger so dick und stumpf, daß es mich immer wieder überrascht, wie sanft sie sein können.
»Sollen wir heute zu Hause bleiben?« fragt er. »Es uns einfach gutgehen lassen? Wir könnten ein bißchen fernsehen, wenn du magst.« Seine Berührungen sind weich und seidig wie warme Butter, und ich spüre die Liebe darin. Ich vergleiche ihn mit M. und komme zu dem Ergebnis, daß dieser Vergleich unmöglich ist.
Ich nicke. Dann rolle ich mich auf den Rücken. Seine Augen sind blau und klar und sehen mich voller Vertrauen an. Sein Gesicht wirkt offen und ehrlich. Er legt die Hand auf meinen Kopf und reibt mit dem Daumen leicht über meine Stirn. Seine Berührung hat eine reinigende Wirkung. »Viel lieber«, sage ich, »würde ich mit dir schlafen.«
Ian sieht mich mit einem breiter werdenden Grinsen an. »Ich dachte, du bist müde.«
»So müde nun auch wieder nicht«, antworte ich. Ich möchte nicht mehr an M. denken müssen, ich will nur noch an Ian denken. Ich möchte die Tatsache auslöschen, daß ich Franny vernachlässigt habe. Ich will, daß Ians reinigende Berührungen meine Schuld wegwischen. Ich möchte ganz einfach die totale, alles umfassende Absolution.
14
Seit Frannys Tod habe ich eine Menge über die Welt des Sadomasochismus gelernt. In einer SM-Beziehung wird der dominante Partner als Top bezeichnet, der unterwürfige als Bottom . Wenn der unterwürfige Partner versucht, die Beziehung zu beherrschen oder zu manipulieren, dann wird sein oder ihr
Verhalten als »topping from the bottom« bezeichnet. Diese Beschreibung trifft ziemlich genau auf das zu, was sich zwischen M. und mir abspielt. Er ist sich dessen nicht bewußt, aber ich bin dabei, ihn von unten zu stürzen.
Wenn Ian nach der Arbeit nicht rüberkommt, verbringe ich meine Abende mit M. Für gewöhnlich sehe ich ihn erst zum Abendessen. Wenn er von seinem letzten Seminar nach Hause kommt, setzt er sich sofort an den Flügel, wo er nur ungern gestört wird. An diesem Abend haben wir das Abendessen gerade hinter uns und drehen eine kleine Runde durchs Viertel. Rameau, der wie ein Schatten immer gegenwärtig ist, folgt uns mit ein paar Schritten Abstand.
Weitere Kostenlose Bücher