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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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Wange wie kurz zuvor M.
    »Was machst du denn hier?« frage ich perplex.
    »Hast du meine Nachricht nicht abgehört? Ich habe heute vormittag angerufen und dir aufs Band gesprochen, daß ich abends vorbeischaue.« Er legt die Arme auf meine Schultern und küßt mich noch einmal, diesmal intensiver. Ich rechne fest damit, daß er meinen Betrug spüren wird. Gleich wird er einen Schritt zurücktreten und sagen: »Du bist mit einem anderen Mann zusammengewesen« – aber er tut es nicht. Aus seinem Kuß sprechen Leidenschaft und ehrliche Zuneigung.
    Ich lege meinen Kopf gegen seine Brust und halte Ian fest. Er ist ein kräftiger Mann, gebaut wie ein Wrestler – was er während seiner College-Zeit auch war –, groß und muskulös, aber inzwischen verbringt er sein Leben hauptsächlich im Sitzen, und in ein paar Jahren wird sein Körper langsam, aber sicher schlaffer werden. Ich spüre es schon jetzt. Ich muß an M.s nackten Körper denken: geschmeidig, hart, gefährlich.
Die Vorstellung macht mich nervös. Ich greife unter Ians T-Shirt und presse meine Finger in sein kühles, bleiches Fleisch. Allein sein Umfang tröstet mich.
    »Nein«, sage ich, »ich habe deine Nachricht noch nicht abgehört. Ich bin gerade erst heimgekommen.« Ich schaue in sein vertrauensvolles Gesicht und weiß sofort, daß ich ihm nichts von M. erzählen kann. Statt dessen erzähle ich ihm, daß ich mit einer Freundin am Lake Tahoe war.
    Ich folge Ian in die Küche, wo er sich eine Cola aus dem Kühlschrank holt. Ich selbst trinke keine Limonade, ich kaufe sie nur für Ian. Ein Blick auf meinen Anrufbeantworter sagt mir, daß zwei Leute angerufen haben. Ich drücke auf den Knopf und höre tatsächlich Ian, der mir mit lauter, durch die Maschine noch verstärkter Stimme erklärt, daß er abends bei mir vorbeischauen wird. Die zweite Nachricht ist von Maisie, die sich fragt, wo ich bin und warum ich sie nie zurückrufe. Ich habe nicht mehr mit ihr gesprochen, seit ich M. kennengelernt habe, weil ich keine Lust habe, ihr von meiner klammheimlichen Affäre zu erzählen. Ich lösche beide Nachrichten.
    Während Ian seine Jacke auszieht und auf die Theke wirft, fragt er mich: »Hast du was gewonnen? Oben am Tahoe?«
    Er öffnet die Dose, streicht sich das helle Haar aus der Stirn und nimmt einen Schluck. Er wirft einen Blick auf den Anrufbeantworter und sagt ohne großen Elan: »Ich war heute mit Maisie mittagessen. Sie kann sich nicht erklären, warum du ihr aus dem Weg gehst.«
    Maisie schreibt für den Bee eine Kolumne über menschliche Schicksale, und sie und Ian sind in letzter Zeit recht gute Freunde geworden. »Ich gehe ihr nicht aus dem Weg«, widerspreche ich. Dann setze ich zu einer Erklärung an, aber Ian wirkt zerstreut. Ich glaube nicht, daß er gehört hat, was ich gesagt habe. Er zupft an seiner Unterlippe herum.
    »Was ist los?« frage ich.
    Er schweigt einen Moment, als wäge er die möglichen Folgen
seiner Antwort ab. Schließlich sagt er in gereiztem Ton: »Maisie ist nicht die einzige, der du aus dem Weg zu gehen scheinst.« Er trinkt den Rest seiner Pepsi auf einmal aus und stellt die Dose weg. »Ich habe die ganze Woche versucht, dich zu erreichen. Du gehst nicht ans Telefon, und wenn du mich zurückrufst, dann tagsüber, wenn du weißt, daß ich nicht zu Hause bin.«
    Die ganze Woche habe ich Ian erzählt, daß ich eine Grippe hätte.
    Er ist noch nicht fertig. »Du benimmst dich, als wolltest du mich nicht sehen. Als gäbe es da einen anderen in deinem Leben.«
    »Nein«, sage ich schnell. »Es gibt keinen anderen. Ich war krank, das ist alles.«
    Stirnrunzelnd sieht er zur Seite, ehe er den Blick wieder mir zuwendet. »Bist du sicher, daß das alles ist?«
    Ich nicke.
    Er schließt seufzend die Augen. Als er sie wieder öffnet, sagt er: »Ich hätte das nicht sagen sollen – das mit dem anderen. Ich hätte nicht gleich diesen Schluß ziehen dürfen. Aber ich liebe dich, Nora. Du kannst nicht einfach für eine Woche verschwinden. Und du kannst mich nicht wegschieben, bloß weil du krank bist. Ich möchte mich um dich kümmern, wenn es dir nicht gutgeht. Ich möchte mit dir zusammensein, egal, ob du gesund oder krank bist.«
    »Es tut mir leid«, antworte ich. »Ich bin bloß…« Ich zucke die Achseln, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich will nicht noch mehr lügen. Lahm füge ich hinzu: »Ich habe gewußt, daß du die ganze Woche viel zu tun hattest.«
    »Das stimmt – aber für dich hätte ich schon Zeit

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